Ultracycling-Eine Geschichte über Monster
Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich meinen Bloglesern tatsächlich verstörende Einblicke in mein Mindset als 24h Ultramountainbiker geben soll. Schließlich gab ich jedoch den Anregungen, beziehungsweise den Fragen meiner Trainingskollegen, Freunden und Bloglesern nach, welche sich immer wieder, wenn auch mit einer anderen Intension um denselben Punkt drehten.
Wie kann man 24h Rad fahren?
Diese Frage wird immer und immer wieder an mich adressiert, wenn auch unterschiedlich motiviert, je nach Personenkreis.
So haben wir einmal die Trainingskollegen: Radsportler, die teilweise schon Jahrzehnte lang diesem Sport nacheifern; die von ihrem Fitnessstand ebenbürtig sind; von ihren Trainingsumfängen sogar deutlich über den meinigen liegen – sich aber keineswegs zutrauen 24h Rad zu fahren.
Wie kann man denn nur 24h Radfahren?
Die andere Gruppe sind Sportler, die wie ich vor 5 Jahren in der Rolle der Hobbyfahrer aktiv sind. Spaß am Biken, den einen oder anderen Marathon schon gefahren und die gerade den Reiz an solchen Ultrarennen entdecken mit der Frage:
Was muss ich tun damit ich 24h Rad fahren kann?
Die letzte Gruppe ist der Freundes- und Bekanntenkreis, die Radsport allenfalls am 1. Mai betreiben, wenn es zum lokalen Bier Hock geht. Diesen dann allerdings nach 15 Minuten auf dem Rad total abgekämpft erreichen.
Oh mein Gott, wie kann man nur 24h Rad fahren?
Für die einen ist es total verstörend, für die anderen ein sportliches Ziel, für den Nächsten trotz physischer Voraussetzung trotzdem total abstrakt.
Es häufen sich die Gespräche genau um dieses Thema, so dass ich mich nun hinreißen lasse, meine Version zu erzählen. Ich selbst kann mich gut mit der Rolle der Fragenden identifizieren, war ich selbst schon in jeder einzelnen.
Mit zwei Knie-OPs war ich jahrelang unsportlich, den 1. Mai im Kalender angestrichen. Dann wurde ich Hobbysportler, für welchen die Leistungen der Ultrafahrer schon fast außerirdisch erschienen (wie in diesem Blogbeitrag beschrieben) und zuletzt bin ich nun selbst solch einer geworden und schreibe einen Beitrag dazu.
Ich habe mir lange Gedanken zu den genannten Fragen gemacht. Meine Antwort ist sogar recht kurz, allerdings würde sie wohl kaum ein Blogleser verstehen, wenn ich diese jetzt einfach raushaue. Somit muss ich euch erst etwas abholen, euch in diese Geschichte einbinden, damit ihr meine Antwort versteht.
Zunächst klären wir einmal, was ihr nicht tun oder sein müsst:
Das Ausnahmetalent
Ich habe im Laufe der Zeit Sportler kennen gelernt, wie Kai Saaler oder Jochen Böhringer. Wenn diese im Startblock stehen, gewinnen sie in der Regel solche 24h MTB Rennen. Beides sind für mich Ausnahmesportler mit einem Talent für solche Rennen gesegnet. Kai beispielsweise pennt 4-5 Stunden am Tag – er hat eine unglaubliche Regenerationsfähigkeit, was ihm erlaubt hohe Belastungen und Trainingsreize unglaublich gut zu verarbeiten. Auch ein Jochen Böhringer fährt im Standgas schon zwei Gänge dicker als ich. Obwohl wir privat ähnliche Rahmenbedingungen haben, sind wir leistungsmäßig einfach weit auseinander. Er macht sein Everesting im Frühjahr im Schnee, während ich dazu Topform im Mai haben muss.
Dies sind definitiv Ausnahmetalente für mich, aber muss man das sein um 24h Rennen zu bestreiten?
Definitiv nein!
Zum einen können die Jungs nicht an jedem 24h Rennen teilnehmen, was für mich die Chance auf gute Platzierungen ermöglicht. Zum anderen war meine Intension nie, um Siege zu kämpfen, sondern meine Grenzen zu erfahren.
Der Trainingsweltmeister
Nun kann man natürlich ein gewisses physisches Loch durch Trainingsfleiß und Ehrgeiz kompensieren, was schon oft funktioniert hat. Jedoch in den wenigsten Fällen beim Hobbysportler zum Erfolg führt. Als ich den Wunsch verinnerlicht hatte an der 12h WM teilzunehmen und im darauffolgenden Jahr ein 24h Rennen fahren wollte, hatte ich vielleicht 3.000-4.000 Trainingskilometer pro Jahr. Nun zu sagen, ich trainiere kommendes Jahr 10.000 Kilometer funktioniert einfach nicht. Der Körper kann so etwas gar nicht leisten. Da braucht es eine behutsame Steigerung. Zudem bin ich berufstätig und Familienvater, also woher soll denn überhaupt die Zeit kommen und vor allem die Motivation? Als aus Radfahren plötzlich Training wurde und ich einen Trainingsplan verfolgt habe, war alles klar geregelt. Ich trainiere 4 Tage die Woche, das ist fix. Train smarter, not harder war das Motto, zu mehr habe ich auch keinen Bock. Zwar versuchte meine Trainerin hier und da mal einen fünften Tag einzubauen, den ich dann widerwillig ausgeführt habe, danach wurde aber sofort gegenreguliert. Natürlich wurde aus train smarter, not harder irgendwann train smarter & harder, so dass ich heute bei den 10.000 Trainingskilometern im Jahr angekommen bin. Das war allerdings in meiner Anfangszeit definitiv nicht notwendig.
Muss ich also ein Trainingsweltmeister sein?
Nein!
Der Modellathlet
Stabiübungen, Ernährungsplan, Körperfettmessung, geregelte Schlafenszeiten, Regenerationsmaßnahmen, definierte Restdays, Überwachung des Wasserhaushalts, usw. Radsport besteht aus mehr als nur dumm durch die Gegend zu treten und nach 5 Jahren bin ich zur Überzeugung gekommen, dass die oben genannten Dinge mindestens 25% zur Leistungsfähigkeit beitragen. Nicht alleine durch das Radtraining wird der Modellathlet definiert.
Aktuell habe ich 6 KG Winterspeck auf den Rippen. Ich beschäftige mich mit solchen Themen, aber bin ich deswegen ein Modellathlet? Nein, sicher nicht. Ich bin in erster Linie Mensch, Papa und Ehegatte. Ich habe stressige Arbeitstage und möchte abends auch mal ein Glas Rotwein. Wir backen Plätzchen mit den Kindern, da will ich doch gemeinsam den Teig stibitzen und mit den Kindern naschen. Wenn Gattin Pamela mal wieder schreit „ich bin unterpommest“, dann sag ich “werfe die Fritteuse an und mach noch einen Wurstsalat dazu.“
Ich lobe mir die Modellathleten, die kein Stück Linzer zu Weihnachten essen, zwar mit auf den Weihnachtsmarkt kommen, dann aber den Glühwein ignorieren und konsequent am goldenen M vorbeifahren, obwohl es sich die Kinder verdient hätten. Ihr seid sportlich großartig, aber privat echt ne Zumutung.
Bei mir gibt´s nach jedem Rennen einen Recovery Döner.
Muss man Modellathlet sein?
Nein!
Fassen wir also zusammen: ihr müsst weder super talentiert, übertrieben viel trainieren oder alles dem Sport unterordnen, um erfolgreich ein 24h Rennen zu bestreiten.
Aber was ist es dann?
Warum wagen viele tolle Athleten nicht den Schritt zum 24h Rennen?
Warum bleiben viele Athleten in solchen Rennen immer und immer wieder hinter den eigenen Erwartungen zurück?
Warum erreichen vermeintliche stärkere Trainingspartner dann im Rennen nach mir das Ziel?
Es ist ganz einfach, aber ihr werdet es erst verstehen, wenn ihr euch folgende Szenen vor das geistige Auge führt:
Ich fahre gerade das 24h Rennen in Schötz, wir sind ca. 4 Stunden vor Rennende und ich werde von Kai Saaler aufgefahren. Er bittet mich und Teammate Sascha einen Paintrain zu bilden und ihm somit die Möglichkeit für den Rundenrekord zu ermöglichen. Diesen hat im Vorjahr Jochen Böhringer aufgestellt. Wir ziehen zwei schnelle Runden ehe Kai am Straßenrand anhält und volle Kanne in den Graben kotzt. Kai klickt wieder ein, drückt sich ein Gel rein und schafft am Ende des Tages genau eine Runde mehr als Jochen im Vorjahr.
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Ich selbst möchte jedes Jahr eine Challenge mit dem Rad fahren. Diese sollte gut 12-15h dauern, um mich somit auf die 24h Renne vorzubereiten. Mit der Belchenhochdrei hatte ich gemeinsam mit Sascha einen abenteuerlichen Tag. Doch das Jahr drauf erhielt ich von Sascha die Absage. Ich wusste noch, wie schwer es an besagtem Tag war – der Gegenwind hatte uns zermürbt, später dann die Hitze in den Anstiegen. Nun stand ich vor der Entscheidung die Tour alleine zu fahren. Ich fiel in ein Motivationsloch und hatte keine Lust drauf diese Geschichte zu widerholen. Warum ich dann doch alleine gestartet bin, ist einfach erklärt: statt die 3 Berge zu erklimmen, packte ich noch einen vierten Berg rein. Statt 5.300 Hm sollten es 6.000 Hm werden. Ich machte es mir noch schwerer und ungemütlicher als das ursprüngliche Solo gewesen wäre, aber es war somit eine neue Herausforderung.
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Wir sind gerade beim Heavy24 – einige Wochen zuvor wurde ich von einem VW Polo abgeräumt und zertrümmerte die Frontscheibe. Dieses Rennen war wichtig, denn ich wollte mir selbst beweisen, dass ich wieder leistungsfähig bin. Nach wenigen Stunden macht es ‚Peng‘ – Hinterradschaden. Ich verliere meine schnelle Gruppe mit meine Kollegen und kämpfe mich kräftezehrend ins Fahrerlager zurück. Platzierung weg, Gruppe weg, neues Hinterrad rein und Aufholjagd starten. Nach etlichen Stunden schaffe ich wieder den Anschluss, ‚Peng‘ – wieder Reifendefekt. Wieder räubere ich kräftezehrend mit der blanken Carbonfelge über die Trails. Glücklicherweise leiht mir Kollege Dennis nun Hinterrad Nummer 3. In der zweiten Rennhälfte kämpfe ich mich auf Platz 5 zurück, welchen ich gerade noch ins Ziel retten kann.
Es gibt noch etliche solcher Situationen und jedes der genannten Ereignisse konntet ihr im entsprechenden Blogbeitrag hier lesen.
Nachdem ich Blogeingangs eine Frage formuliert hatte, ihr nun wisst was ihr alles nicht sein müsst und euch nun die genannten Situationen vor Augen geführt habt, beantworte ich nun nach 4 Seiten geistigem Erguss die gestellte Frage.
Was muss man tun um 24h Rad zu fahren?
Die Antwort lautet: Sei ein Monster
Wenn ich nochmals diese Fragen zitiere:
Warum wagen viele tolle Athleten nicht den Schritt zum 24h Rennen?
Warum bleiben viele Athleten in solchen Rennen immer und immer wieder hinter den eigenen Erwartungen zurück?
Warum erreichen vermeintliche stärkere Trainingspartner dann im Rennen nach mir das Ziel?
Warum liegen Mitstreiter zur Rennhälfte mehrere Runden vor mir und fallen dann doch zurück?
Dann lautet die Antwort kurz eindeutig: sie waren im entscheidenden Moment kein Monster
Du kannst ein gefräßiges, nimmersattes Monster sein was alle verschlingt und wie Kai in den Graben kotzt, um sich danach den Rundenrekord zu holen.
Du kannst ein Mentalitätsmonster sein, welches keine Lust auf Belchenhochdrei hat, sich aber durch einen zusätzlichen 4 Belchen provoziert fühlt.
Ich nutze da gerne immer die Geschichte von Hulk und Dr. David Banner. Dr. Banner ist dieser ruhige, introvertierte Typ mit Brille, das klassische Mobbingopfer des Schulhofs, jeder Konflikt wird gemieden, Rückzug ist das Motto. So lange bis Dr. Banner einmal richtig getriggert wird, dann wird er zum Hulk, diesem gewaltigen grünen mächtigen Monster.
Und Hulk ist definitiv geil, nicht so ein Lauch wie Dare Devil oder so.
Was die wenigsten über Hulk wissen: Hulk wird nämlich durch jeden Treffer, den er kassiert größer, stärker und wütender. Wie will man jemanden bezwingen, der mit jedem Treffer stärker wird? Und genau darum geht es im Ultracycling, dich nicht bezwingen zu lassen.
Wenn dein Hinterrad berstet, gehst ins Fahrerlager, nimmst das Nächste und fährst schneller. Wenn du alle Körner verschossen hast und die Aufholjagd erfolgreich war und dein Hinterrad berstet wieder, dann nimmst das nächste Hinterrad…jeder Treffer macht dich stärker.
Ich hoffe liebe Leser ihr könnt mir folgen und ich denke ihr hättet es kaum verstanden, wenn ich zu Beginn dieses Blogbeitrages geschrieben hätte: Seid einfach ein Monster.
Ihr werdet bei sportlichen Grenzerfahrungen unglaublich leiden und definitiv Schmerzen haben, die werdet ihr ertragen und irgendwann seid ihr so fertig, dass ihr am Scheidepunkt steht.
Jetzt müsst ihr euch entscheiden: seid ihr Hulk oder seid ihr Dr. Banner, legt ihr euch mit Bauchweh ins Fahrerlager oder kotzt ihr kurz und macht weiter? Versorgt ihr den blutigen Hintern oder fahrt ihr im Wiegetritt weiter? Ertragt ihr die Kopfschmerzen der Dehydrierung oder macht ihr Pause. Der Grat zwischen beidem könnte nicht schmaler sein, die Verlockung aufzugeben nicht größer.
Ich erinnere mich hier an das Rennen in Finale. Die Temperaturen haben mich zermürbt, mir tut alles weh, Kopfschmerzen, Blasen an den Händen, Übelkeit. Ich bin mir sicher bei der Durchfahrt des Fahrerlagers mache ich eine Pause bei meiner Crew. Kaum komme ich dort an, beginne ich zu stammeln „sei ein Monster Daniel sei ein Monster….“. Das mache ich so lange, bis ich an meiner Crew vorbeigefahren bin und mir selbst die Chance zur Pause geraubt habe. Das geht natürlich nur bedingt lange gut und 3 Stunden vor Rennende bin ich fertig. Mein Monster habe ich irgendwo auf den Trails in Finale begraben und sein Kadaver stinkt in der brütenden Hitze. Ich biege zu meiner Crew ab. Ich entscheide mich Dr. Banner zu sein, mich zurückzuziehen. Ich bin hier fertig. Ich bin umringt von Sportskollegen, die schon längst aufgegeben haben, von deren Betreuer, von meinen Betreuer. Ich kippe ein Paulaner in mich rein. Natürlich haben alle Verständnis, aber genau das brauche ich am wenigsten. Ich bin umringt von Leuten, aber ich erinnere mich nur an das angewiderte Gesicht von meinem Betreuer Jonas. Alle versuchen mir positiv zuzureden, aber ich höre nur Jonas: „Daniel, du kannst hier nun rumpimmeln und Bier saufen oder du gehst raus und holst dir Platz 10. Du hast nur 15 Minuten Vorsprung.“ Ich weiß gar nicht, ob es die Aussicht auf Platz 10 war oder nur der enttäuschte Gesichtsausdruck von Jonas, aber ich ließ das Paulaner stehen und stand auf. Marco hatte schon längst das Bike fit gemacht, doch ich konnte nicht weiterfahren. Ich war nicht in der Lage auf das Rad zu steigen. Ich hab Marco gebeten, er solle bitte das Bike schräg halten und mich stützen, während ich versuche aufzusteigen. Mit den Worten: „Ich hasse euch alle“ verlasse ich das Fahrerlager.
Folgende Gedanke strömen durch den blutleeren Kopf: Zehnter bei der WM zu werden, wäre ein Riesending. Aufzugeben und Elfter zu werden, wäre angesichts meiner Verfassung ein durchaus annehmbares Szenario. Was aber unter keinen Umständen passieren durfte, was mich wahrscheinlich komplett zerstört hätte, wäre die Tatsache gewesen, dass ich mich jetzt 3 weitere Stunden über diesen Kurs quäle und trotzdem Elfter werde. Dies war der Trigger, der Funke für das Monster. Ich fuhr meine Tagesbestzeit. Zum zweiten Mal überhaupt erst konnte ich den schweren Anstieg fahrend bewältigen. Betrachtet man die Dauer dieses Rennens, war dies wohl meine stärkste Runde. So schmal ist der Grat zwischen weitermachen und aufgeben, zwischen Kämpfer und Lauch, zwischen Hulk und Dr. Banner.
Ihr könnt mich verrückt nennen, naja selbst schuld, wenn ihr den Quatsch hier lest, aber ich bin absolut davon überzeugt.
Du kannst 10 Jahre jünger sein als ich
3.000 Kilometer mehr trainiert haben
Zur Rennhalbzeit 2 Runden Vorsprung haben
Deine Crew kann doppelt so stark sein
Dein Bike 2 KG leichter
Aber wenn du im entscheidenden Moment kein Monster bist, wird meines dich auffressen.
Ich bin so davon überzeugt, dass ich 2023 noch stärker sein werde, weil ich nun mein eigenes Monster habe, welches mich auf meinem Bike und dank DOWE Sportswear nun auch auf meiner Kleidung immer begleitet.
Und jeder, der sich für 2023 ein sportliches Ziel setzt – glaubt an euch, seid motiviert, verschiebt eure Grenzen, seid im richtigen Moment ein Monster.