311er Challenge-Helden des Schwarzwalds
Seit der Pandemie gehören sie zu meiner Saisonplanung, meine eigenen Challenges. Was zunächst mit dem Everesting und dem Nachfahren der Belchenhochdrei in 2020 begann, mit dem Belchenhochvier dann 2021 erweitertet wurde, musste auch 2022 fortgeführt werden.
Dieses Jahr sollte jedoch alles etwas anders geplant werden. Bin ich meine Challenges größtenteils immer allein gefahren, holte ich mir frühzeitig mit Christian Ludewig ein Teammate mit ins Boot, der nicht nur mein treuer Begleiter, sondern gleichzeitig Initiator für die 311er Challenge werden sollte. Die Idee nach den Vorgaben vom Veranstalter “Friendsonbike“ meine Challenge im Nordschwarzwald zu fahren, stammt von ihm. Die Tatsache, dass die Route unmittelbar an seiner Haustür vorbei läuft, macht vieles nochmals einfacher. Übernachtungsmöglichkeit, Freunde wieder sehen und sich in einem Akt der Selbstverstümmlung über 11 Pässe zu schinden waren einfach zu verlockend, um es nicht zu tun.
So haben wir uns also beim Veranstalter Friendsonbike registriert, um den GPX Track zum Nachfahren zu bekommen und bei erfolgreichem Bestehen in die Bestenliste eintragen zu können.
Bei der 311er Challenge gilt es die 311 Kilometer und 6500 Höhenmeter über 11 Pässe des Nordschwarzwaldes zu absolvieren. In der Challenger Version darf man 3 Tage, in der Hero Version deren 2 Tage benötigen. Wer sich für die Pionier Version meldet, muss dies quasi nonstop tun.
Da es mir meist schwer fällt, mehrere Tage hintereinander aufs Rad zu steigen, sollte es die Pionier Variante werden. Wer diese besteht, darf sich in die Finisherliste des Veranstalters eintragen. Lediglich 5 Männer und ein Frau konnten bisher diesen Ruhm erlangen!
So machten wir uns also frühzeitig an die Planung, Begleitfahrzeug, Verpflegungspunkte, Betreuer, alles musste organisiert werden. Zudem teilten wir unsere Idee mit unseren Vereinen, unserem Team, sowie den Sporttreffs die wir kannten. Christian im Nordschwarzwald, ich im Südschwarzwald und es fanden sich dann tatsächlich 5 weitere Mitstreiter/innen, die genauso größenwahnsinnig wie Christian und ich sind.
So rückte der Tag näher an dem sich 7 tapfere Radsportler/innen in Pfalzgrafenweiler versammelten, um in der kommenden Nacht ihre Leidensfähigkeit unter Beweis zu stellen.
Samstag 14.05.22 3.00 Uhr
Ich werde vom Laserstrahl einer Eiphönkamera aus dem Schlaf gerissen. Christian steht neben mir, Brustgurt, Renneinteiler, Duracel im Hinter – Christian ist on fire. Ich und Christians bessere Hälfte Nadine sind absolute Zombies. Ich bin absolut kein Nachtmensch, wie ein Neugeborenes dem warmen Mutterleib entrissen, Kälte, grelles Licht…ich fange an zu weinen.
Zwei Ohrfeigen von Christian erinnern mich warum ich hier bin. Im Halbschlaf würge ich eine breiige Masse den Schlund hinunter (Frühstückssimulation), taumle ins Bad, Ringelblumenmelkfett auf die Zahnbürste und Mentholzahnpasta in die Arschkimme…brennt nur ganz kurz und ich bin um 4 Uhr dann abfahrtsbereit.
6 Grad, schweinedunkel, arschkalt… Wir starten unsere Tour. Tobi verliert seine Radbrille, fährt danach drüber…das erste Opfer des Tages nach 10 Sekunden Fahrtzeit. Die Dunkelheit fordert schon vollste Konzentration, Schlaglöcher, Wildwechsel, schnelle Abfahrten gepaart mit einer 7 Mann/Frau Gruppe und wir befinden uns noch immer erst auf der Anfahrt zur Original Route!
Scheiße ist das kalt, wir schlottern alle wie Eiswürfel, aus Spaß sage ich „noch freuen wir uns, wenn´s endlich Berg hoch geht und uns endlich warm wird“. Später wird das anders sein…ich werde mich jedoch irren…
Endlich geht´s hoch, es wird etwas wärmer, wunderschönes Mondlicht, in der Ferne blinken die Windräder…es ist immer eine unglaublich geile Stimmung, wenn man aus der Dunkelheit in das Morgenlicht fährt. Wir haben immer 35 Kilometerstints, bis wir das Begleitfahrzeug erreichen. Aber wir schaffen nicht mal diesen Ersten, ehe der Defektteufel zuschlägt. Kettenriss nach nicht mal 30 Kilometern. Kirsten, die einzige Frau in der Gruppe entpuppt sich als wahrer Glücksengel. 10 Fach Kettenglied, 11 Fach Kettenglied, Sauerstoffzelt falls es einem schlecht geht, Klappspaten falls einer die Tour nicht überlebt und verschachert werden muss… sie hat wirklich alles in der Packtasche und so erreichen wir nach einem zähen Start unseren ersten Verpflegungspunkt.
Ich spule in dieser Geschichte etwas vor. Mike hat mittlerweile eine neue Kette am Rad, Tobias trägt zum Schutz vor völlige Erblindung meine zweite Radbrille. Wir passieren die ersten Pässe, die in Wirklichkeit nur kurze Steigungen sind und genießen bei der Überlandfahrt den guten Asphalt und die wunderschönen Ausblicke über blühende Bäume und leuchtend Rapsfelder. Kommen wir ans Begleitfahrzeug werden wir gefeiert wie die Helden. Uwe sperrt gleich die komplette Straße für uns damit wir sicher in den Parkplatz einbiegen können, Bärbel und Nadine haben die Verpflegungsboxen ums Auto platziert. Es werden Fotos gemacht, Sonnencreme organisiert, kaum sind wir fertig sammeln sie unseren Müll ein, verstauen die Klappboxen und fahren weiter, um nur 35 Kilometer später das ganze Prozedere zu wiederholen.
„Lieber Uwe, liebe Bärbel und liebe Nadine was ihr an diesem Tag für uns runter gerissen habt, lässt sich schwer in Worte fassen. Unermüdlich fast 20 Stunden lang habt ihr uns die Eier gegrault damit wir dumm durch die Gegend fahren können.“
Vielen herzlichen Dank dafür!
Doch die gute Stimmung ist trügerisch. Wir haben 150Km gemeistert, davon sind gut 13Km aber die Anfahrt zum Kurs, lediglich 2300Hm sind erledigt. Die Tatsache, dass wir relativ lange pausieren, die schweren Anstiege und ein Großteil der Höhenmeter noch kommen und wir schon jetzt nicht schnell unterwegs sind, sorgt für die Erkenntnis, dass uns irgendwann die Zeit ausgeht und ein Ankommen bei Tageslicht immer unrealistischer wird. Mittlerweile hat uns Kirsten verlassen und die ersten Verschleißerscheinungen innerhalb der Gruppe machen sich breit. Die Anstiege werden länger, die Temperaturen steigen, die Gruppe teilt sich, aber jeder fährt sein Rhythmus, alle sind gut dabei.
Das ich in der kommenden Stunde in Schieflage gerate, war nun gar nicht geplant. Ich selbst habe bei Distanzen über 6 Stunden immer mal wieder starke Probleme mit den Füßen. Das Fußbett wird durch das Treten flach gedrückt und irgendwann klemmt es die Nerven ab. Als würde jemand ein Feuerzeug an die Fußballen halten, ein Schmerz der mich auch schon beim Heavy24 vom Rad runter getrieben hat. Es sind knapp über 8 Stunden gefahren und zum ersten Mal hab ich diese Fußprobleme total im Griff, ich habe die letzten Monate mit maßgefertigten Einlegesohlen experimentiert und habe nun dieses Problem erstmals seit gut 3 Jahren im Griff. Meinen Füßen ging´s nie besser. Doch genau jetzt nach 180 Kilometern bin ich zwischen Pest und Cholera gefangen, denn scheinbar tut diese anatomische Fußstellung meinem Fuß gut, nicht aber dem Rest meines Körpers. Bei meinen zwei Knie Operationen wurde mir der Oberschenkelknochen durchbohrt und eine Schraube auf Kniehöhe montiert, nun fühlt es sich so an, als wolle sich die Schraube wieder aus meinem Körper winden und mit dem Schraubenkopf durch das Fleisch an die Oberfläche drücken. Bei der Einfahrt in den nächsten Berg bin ich nicht mehr in der Lauge diesen Schmerz zu beherrschen, ich trete schon nur linksseitige und mir wird klar, dieses Problem kann ich nicht einfach 150 weitere Kilometer aussitzen. Ich lasse mich zu Roger und Tobi ans Ende zurück fallen, um mich schleichend nach ganz hinten zurück zu ziehen. Ich habe gerade gar keine Lösung parat und ich will die Gruppe keinesfalls aufhalten. Für mich ist diese Challenge beendet, ehe mir es in den Sinn kommt, es könnte an den neuen Einlagen liegen. Gedanklich hatte ich diese noch vor gut 2 Stunden in den Himmel gelobt, dass diese nun solch ein Problem verursachen darauf musst erst mal kommen. Heimlich biege ich in eine Parkbucht ein, um meinem Knie ein Pause zu gönnen und meine Schuheinlagen zu entfernen. Roger und Tobi klettern weiter. Sie sollen sich auf das Höhenmeter sammeln und auf sich konzentrieren. Doch wahre Freunde blendet man nicht, es vergeht keine Minute da rollen beide wieder den Berg runter, um nach mir zu schauen und opfern somit die hart erklommenen Höhenmeter.
Schmeckt mir gar nicht Jungs! Aber Dankeschön
Ich bin stinkesauer. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann mich die mentale wie physische Abrissbirne zu selben Zeitpunkt so zerbombt hat. Bisher war ich bestens geübt darin meine mentale Leistungs- und Leidensfähigkeit von der physischen zu trennen. Düstere Gedanken konnte ich oft verdrängen und mich irgendwie motivieren, Schmerzen konnte ich ertragen und aussitzen, doch gerade in diesem Moment bin ich gescheitert. Mein Motto „unbesiegbar durch Gleichgültigkeit“ funktioniert nicht mehr und selbst wenn, wenn ich mit diesem Knie weiter fahre, um die Challenge zu beenden.
In zwei Wochen ist die 24h WM, ich sehe mich schon mit geschwollenem Knie die nächsten Tage zu Hause sitzen und mein Saisonziel davon schwimmen. Aufhören geht auch nicht, weil ich muss zum nächsten Verpflegungspunkt. So klammere ich alle Hoffnung daran, dass mich das Fahren ohne Schuheinlagen irgendwie retten kann, wobei das Entfernen von selbigen wieder zu unerträglichen Fußschmerzen führen wird. Pest oder Cholera und wir haben noch einen sehr langen Tag vor uns.
Das Gute daran ist, ich habe fast 15 Kilometer Aufstieg zur Schwarzwald Hochstraße vor mir und somit genügend Zeit mich wieder zu sortieren. Die Schuheinlagen sind in der Trikottasche und ich fahre ausschließlich im kleinsten Gang, primär linksseitig tretend den Anstieg hinauf. Tobi und Roger halten gebürtigen Sicherheitsabstand, die andern Jungs sind schon längst davon gezogen. Ich kann mich in den kommenden Kilometern etwas sammeln und kurz vor Erreichen der Verpflegung warte ich auf Tobi und Roger. Ich möchte hier oben nicht allein ankommen, sie haben schließlich unten auch auf mich gewartet.
Zu meinem Leid tut ausklicken oder noch schlimmer pausieren meinem Knie gar nicht gut. Bei jedem Antritt kommt ein stechender Schmerz zurück. Pausen sind Gift, Flachpassagen noch zu ertragen, wirklich besser geht’s wenn ich bergauf auf dem kleinen Kettenblatt fahre. Somit revidiere ich meine Aussage, dass ich mich im Laufe des Tages mehr über Abfahrten als Anstiege freuen werde. Mittlerweile habe ich also gut 15 Kilometer und ein halbe Seite Blogbeitrag rumgeheult und das muss nun reichen.
Roger spendiert mir einen Satz Schuheinlagen aus seinen Ersatzschuhen und mein Knie ist tatsächlich beherrschbar.
Es geht weiter auf der dicht befahrenen Schwarzwald Hochstraße. Motorräder, Porsches, Ferraris alles heizt ans uns vorbei. In mitten der Fahrbahn liegt ein breiiger Fleischhaufen, irgend ein Nagetier ist hier verendet, wahrscheinlich erlegt von einem übermütigen Golf Fahrer.
Von der tiefergelegten Frontlippe erst zusammen gefaltet, dann von den 250mm breiten Niederquerschnittsreifen zu Hackfleisch verarbeitet, dann noch die Sackhaare am Ofenrohr großen Auspuff angesengt. Beim Vorbeirauschen erkenne ich im Blinkwinkel noch ein Stück Zahnbürste in der breiigen Masse, somit hat´s hier wohl den Dentagard Biber gekostet. In Gedanken an Kamille, Minze, Myrrhe und Salbei biegen wir in den Anstieg zur Hornisgrinde ein und im Vergleich zum Bieber, geht’s mir doch wieder echt super, oder?
Der wunderschön Anstieg mit Blick zum See in Richtung Hornisgrinde hilft mir mich aus meinem mentalen Tief zu kämpfen und mit dem Erreichen des Turms, haben wir auch schon den dritten von fünf Fotospots des Veranstalters erreicht.
Wer sich beim Veranstalter für die 311er Challenge registriert, muss nämlich nicht nur den absolvierten GPX Track einreichen, sondern auch 5 vorgegebene Fotospots erreichen und diese Abfotografieren, der Turm der Hornisgrinde ist Nummer 3 davon.
Auch wenn wir zu diesem Zeitpunkt scheinbar schon recht weit gekommen sind, der Verlauf der 311er Challenge ist trügerisch, in den frühen Morgenstunden haben wir relativ schnell Strecke gemacht und haben so die halbe Kilometer Distanz zurück gelegt. Nun müssen wir aber die Höhenmeter nachholen, die primär in der zweiten Hälfte anstehen. Gefühlt fahren wir stundenlang die Berge hoch, während die Kilometerzahl eingefroren scheint und verbleibende 100 Kilometer und 2000 Höhenmeter sind nicht zu unterschätzen, wenn man gefühlt schon 15 Stunden mit entsprechenden Pausen unterwegs ist.
Wir rauschen hinab ins Tal zum nächsten Verpflegungsstopp. Dort staut sich die Wärme der Mittagshitze, 30 Grad und jetzt kommen die echten Brocken. Alle sind angeknockt. Christian durchlebt gerade seinen Tiefpunkt in der Hitze und der kommende Anstieg zum Brandkopf wird der Scharfrichter dieser Challenge. Vom Veranstalter mit der düsteren Farbe „Schwarz“ im Höhenprofil markiert, erwarten uns nun 9 Kilometer mit Rampen von 18% Steigung. Dieser Anstieg ist ne echte Bitch, jeder schindet sich hoch. Bei der Einfahrt schon den kleinsten Gang eingelegt. Jetzt wären Steigeisen angebracht denke ich mir – Kirsten hätte sicher welche in ihrer Tasche. Christian legt Trittpausen ein um überhaupt hoch zu kommen. Vor jeder Kurve die Erwartungshaltung „jetzt wird’s sicher flacher“. Nach jeder Kurve zeigt dir der Anstieg den Stinkefinger. Nach etlichen Kurven wird es endlich flacher und wir rollen der Passhöhe entgegen. Ein einladenden Sitzplätzchen empfängt uns, um uns das Warten auf unserer Gefährten zu erleichtern, durchzuatmen und uns zu verpflegen.
In Wirklichkeit hängt aber genau an diesem Ort die mentale Abrissbirne. Für alle, die diese Challenge nachfahren wollen und diesen Beitrag lesen: „Hier entscheidet es sich ob ihr finished oder nicht“.
Denn der Veranstalter schickt euch nun in eine Sackgasse, weitere 200 Höhenmeter, weitere Rampen, nur um den vierten Fotospot zu erreichen.
„Wir sollen nun also nach diesem Aufstieg eine Sackgasse hinauf fahren, 200 zusätzliche Höhenmeter mit 16% Rampen machen, einen Stein fotografieren und dann auf derselben Strecke, die durchsäumt von Schlaglöchern ist, uns in der Abfahrt noch zerbomben zu lassen?“
Genauso ist´s und Christian kommt in diesem Moment überhaupt nicht klar, er schimpft wie ein Rohrspatz, will sein Rad in die Ecke werfen und er denkt ernsthaft darüber nach diesen Fotospot auszulassen und so die Challenge zu opfern. Man muss sich vorstellen wie scheiße es einem in solch einer Situation gehen kann, denn Christian muss ja die 311Km trotzdem zu Ende fahren, aber genau jetzt sind ihm die zusätzlichen Höhenmeter zu viel.
Ich schreibe das hier als Warnung für alle Nachfahrer und als Fingerzeig dafür, wie wichtig das Mindset bei solchen Challenges ist. Ich selbst habe vor etlichen Stunden meinen Tiefpunkt überwunden und es gibt unterschiedliche Wege sich aus solchen Tiefs zu kämpfen.
Ein etwas unrühmliches aber probates Mittel ist die Motivation durch das „Leiden der andern“. Mir ging es im Ultracycling schon oft mies, aber zu sehen, dass andere mehr leiden hat mich schon oft wieder angetrieben. Es fällt dir selbst leichter zu leiden, wenn du siehst, das andere es mehr tun.
Ich selbst habe auch unglaubliche Angst vor dem Aufgeben. Was ist, wenn ich diese Entscheidung in 10 Minuten, heute Abend oder morgen bereue? Ich bin schon so weit gekommen und müsste den ganze Scheiß nochmal machen, um dann wieder genau an diesem Punkt zu stehen. So kostet mich das Aufhören tatsächlich mehr Überwindung als das Weitermachen.
Im Zuge des „Aufgebens“ denke ich auch immer an euch Blogleser. Was schreibe ich denn nun? Ich bin jetzt 12h geradelt über 10 Pässe und jetzt höre ich einfach auf?
Ich denke dann auch ganz schnell an das Dasein als Influenzer für Arme, wie ich einer bin. Wie wir uns in diversen Social Media Beiträgen stark reden. Mit #nevergiveup #keepfighting #beatyesterday. Wenn ich jetzt nicht da hoch fahre, muss ich zukünftig #ichbineinlauch schreiben.
Denn genau um diesen Moment geht es, es geht nicht um den ersten, den zweiten oder vierten Pass am heutigen Tag. Es geht genau darum jetzt nicht den bequemen Weg zu wählen. Wir haben nun alle heftige Nackenschläge an diesem Berg kassiert, aber genau jetzt muss man die Hashtags mit denen man um sich wirft auch einhalten.
Christian motiviert sich in diesem Moment aber völlig anders, was er mir dann aber erst beim morgigen Frühstück erzählen wird. Ich bin nämlich schon in den Anstieg gefahren, stehen tut meinem Knie eh nicht besonders gut.
„Wenn der Daniel mit seinem beschissenen Knie da hoch fährt, kann ich jetzt nicht aufhören“ das sind die Gedanken die Christian in diesem Moment antreiben.
Manchmal braucht man ein Mentalitätsmonster, der einem den Kampfgeist vorlebt, welcher einem vor etlichen Kilometern abhanden gekommen ist. Christian schimpft, flucht aber er fährt diese bekackte Sackgasse hoch und zeigt dem besagten Stein den Stinkefinger, während er das Foto schießt. Ich bin stolz auf dich Keule, dass du in diesem Moment durchgezogen hast!
Ich gehe so bewusst auf diesen Moment ein, weil sich jeder der so etwas macht durch düstere Gedanken kämpfen muss und solche Challenges fährt man nun mal nicht mit dem Beinen, sondern man bezwingt sie mit dem Geist.
Somit haben wir auch diese Hürde genommen und wir rollen zur nächsten Verpflegung. Mir ist schon seit über einer Stunden flau im Magen, Powergums, Läberwurschdschnitte, Gel und Red Bull haben langsam ihren Schaden angerichtet. Seit den letzten zwei Bergen habe ich mich kaum noch verpflegt, ich wollte meinem Magen ein Auszeit geben. Denn wir sind noch immer nicht auf den letzten 50 Kilometern angelangt und ich wollte den Magen für die finale Phase schonen.
Beim nächsten Verpflegungsstopp bricht die Abenddämmerung herein, es wird kühler, das Finale beginnt: der letzte Berg und die letzten 50 Kilometer brechen an. Ich hab mich und den Magen geschont, jetzt wird der Daniel nochmals richtig gepimpt. Powergums, Gel, Red Bull…ich bin auf einer Mission. Immer dann, wenn ich etwas zu Ende bringen kann, das Ziel vor Augen sehe, mir bewusst wird, ich kann es schaffen laufe ich nochmals zur Höchstform auf.
Letzte Rennstunde, Letzter Berg, Letzte Runde, Letzter am „All you can eat Buffet“ wenn es darum geht es zu Ende zu bringen bin ich #unstoppable.
Wir nehmen den letzten Anstieg, unser Küken Mike hat Probleme mit dem Magen. Im Wiegetritt geht´s für ihn besser und ich fahre mit ihm mit, um bei ihm zu bleiben. Er leidet und äußert seinen Unmut über seine Befindlichkeit. Im Dialog gebe ich ihm folgenden Rat: „Das mit dem Magen kenne ich, der ist bei solch langen Ausfahrten immer empfindlich, dir geht´s damit nicht gut und ich habe Schmerzen im Knie, das können wir aber jetzt nicht ändern also lass es uns akzeptieren. Schau her Mike wo wir sind. Wir sind mitten in Nacht gestartet, waren den ganze Tag auf dem Rad, sind müde, aber wir sind nun genau da wo wir hin wollten. Im letzte Berg von 11 Pässen mit der Tatsache, dass wir diese Challenge schaffen werden. Ein schöner Rollerberg, Schiebewind, kühle Temperaturen und wunderschönes Mondlicht, lass uns diesen Moment genießen, statt zu leiden.“
Von nun an ballern wir den Zwieselberg hinauf als wollten wir sagen „es braucht mehr als 11 Pässe um uns hinzurichten“. Oben angekommen wirft sich Mike auf die Wiese, ich auf die Straße um für meine Kollegen noch ein Erinnerungsfoto bei ihre Ankunft zu schießen.
Wir rollen nach Freudenstadt zum vorletzten Verpflegungspunkt und unangenehme Entscheidungen stehen an. Ein Teil der Gruppe wird bald die 311 Kilometer durchbrechen und somit endet dann ihre Tour und sie wollen direkt ins Hotel. Ich kann es keinem verübeln, wir sind seid gut 18 Stunden auf den Beinen und wir haben mittlerweile die Gestalt des Dentagard Biebers angenommen. Meine Challenge endet aber erst, wenn ich wieder an dem Wegpunkt angelangt bin, an welchem wir auch auf die Original-Route gestoßen sind. Das bedeutet 330Km und nochmals 250Hm mehr. Auch wenn wir uns den Feierabend verdient haben, ich bin hier noch nicht fertig und meine Frage lautet lediglich „bleibt das Begleitfahrzeug bei mir?“
Wir haben noch eine Etappe bis zum letzte Verpflegungspunkt, ehe sich die Gruppe teilen muss um einen Plan zu entwickeln.
Auch diese Situation können wir dank unseren überragenden Betreuern Nadine, Uwe und Bärbel bewältigen. Während die eine Gruppe zum Hotel fährt, fahren Christian, Mike und ich die Challenge zu Ende. Parallel müssen unsere Betreuer das Fahrzeug leer räumen und uns irgendwo auf dem Rückweg einsammeln.
Gesagt, getan. Wir fahren weiter. Es ist nach 23 Uhr und wir passieren endlich den offiziellen Einstiegspunkt des GPX Tracks. Während Christian emotional und lauthals jubelt, bekomme ich schlagartig so gar kein Bock mehr auf weitertreten. „Eigentlich könnten wir doch wie Nutten an der Leitplanke verharren, die Beinlinge etwas sexy in die Fahrbahn strecken und warten bis uns jemand mit nimmt“ ein Gedankengang den ich überraschenderweise nicht ausspreche. Gerade als wir in den Anstieg zurück nach Pfalzgrafenweiler einsteigen, kommt uns Nadine mit perfektem Timing entgegen. Nach 325 Kilometern und 6500 Höhenmetern steige ich dann endlich ins Auto. Wir verstauen die Bikes inklusive mir im Frachtraum, welche ich unter Einsatz meines Lebens beschütze, während ich von der kurvigen Strecke nochmals richtig durchgenudelt werde.
Dies war die Geschichte der 311er Challenge, aber sie ist nicht nur meine, sondern auch die von
Kirsten: Respekt sich einer Männergruppe anzuschließen, auch wenn du nicht bis zum Schluss dabei warst, warst du unglaublich wichtig. Der Tag hätte ohne dein Kettenschloss einen völlig anderen Verlauf genommen. Vielleicht kommst du zurück um die 311 nochmals anzugehen.
Gerd: Du hast mich schon so oft am Berg gefordert, manchmal kämpfe ich mit dir, manchmal fahre ich einige Meter hinter dir, um zu schauen mit welcher Eleganz du kletterst. Unglaublich inspirierend dich dabei zu haben.
Jens: Wir haben nicht viel gesprochen aber ich war einfach sprachlos von deinen Trainingsumfängen. Mit deinen 40 KM/250HM Trainings bist du ein wahrer Modellathlet für mich. Chapeau
Mike: Wir haben an diesem Tag viel gesprochen und du wolltest von mir meinen Segen zu deinem ersten 12 Stundenrennen. Ich glaube fest an dich mein junger Freund und du bist an diesem Tag ein Stück mehr zum Ultrafahrer gereift. Wir sehen uns im Startblock Mate!
Tobias: Wie ich deine einfache Art liebe. Du hasst die Berge und killst dir die Radbrille kurz nach dem Start. Das alle kann dich nicht aufhalten. Du kommst, fährst ein paar Berge und gehst wieder heim fertig! Danke dass du dabei warst.
Roger: Der Altmeister hat es allen gezeigt: Ich habe irgendwo mal gelesen: „Unterschätze nie einen alten Mann mit dem Fahrrad“. Keiner verkörpert das mehr als du. Für alle die sich zu alt, zu schwach zu unfit für solch eine Leistung fühlen, du bist der Beweis das es geht du bist der Maßstab!
Christian: Du hast schon davor wie auch am Samstag unglaublich viel dafür getan das unserer Gruppe diesen Tag erleben und diese Challenge bestehen durfte. Es war nicht die Begeisterung für den Radsport, auch nicht die Idee für die 311er, die zu diesem grandiosen Tag geführt haben, sondern die tiefe Freundschaft die uns verbindet. Dafür möchte ich dir Danken.
Nadine, Uwe, Bärbel: Als hätten sie die letzten 10 Jahr nichts anders gemacht als Radsportler zu betreuen. Ihr wart sowas von überragend. Mir fällt wirklich nichts, aber auch gar nichts ein was man hätte besser machen können. Ihr seid so unfassbar gut!
Pamela: der Alte hat sich mal wieder dumm das ganze Wochenende aus dem Leben getreten. Diesen Tag konnte ich erleben weil schon wieder, eine Ehefrau auf ihren Mann verzichtet hat, sie schon wieder allein die Kinder bespaßen musste, sie schon wieder einkaufen und Sachen richten musste.
Wenn dir genau diese Frau dann noch Herzchen in die Leberwurst malt und Anfeuerungsrufe auf die Verpackung der Schnittchen schreibt, dann hat man echt gewonnen im Leben.
Du bist mein Lottogewinn!
Happy ride
Euer
Daniel