24h Finale-zurück zu Muddi
Es ist ein sommerlicher Morgen im Mai 2016. Wir beladen gemeinsam unseren Teambus mit Kühlschrank, Bierbänken, Essen, Zelt und allerlei Bikematerial, halt den Dingen die man für ein Rennwochenende braucht. Ich bin zu diesem Zeitpunkt Shoprider für den „Follow me Store“ und erstmals werde ich ein Rennen fernab von zu Hause bestreiten. Mit meinen Teamkollegen geht es nach Italien, nach Finale Ligure, dem legendären 24 Stundenrennen. Zwei 4er-Teams wollen wir stellen, ich bin noch nie im Ausland gefahren, noch nie ein 24 Stunden Rennen, noch nie nachts. Meine Teamkollegen haben hier in der Vergangenheit schon gewonnen, ich bin entsprechend nervös und hab Schiss in der Hose.
Am Nachmittag treffen wir in Finale Ligure ein und werden von Postkartenpanorama und sommerlichen Temperaturen empfangen. Nachdem wir unser Fahrerlager errichtet haben, geht´s zur Streckenbesichtigung. Es ist genauso wie von den Kollegen beschrieben: sahnige Trails, steile Rampen und ein wunderschöner Ausblick aufs Meer. Hin und wieder müssen wir rechts ran fahren und die Solofahrer passieren lassen. Diese starten von Freitag auf Samstag, da es hier kaum Überholmöglichkeiten für die schnelleren Teams gibt. Wir selbst starten dann am morgigen Samstag nachdem die Solofahrer im Ziel sind. Die 50 Minuten, die wir für die 11 Kilometer lange Runde benötigen zeigt, wie fordernd und selektiv die Strecke ist. Geil für eine Feierabendrunde, aber über 24 Stunden???
Aktuell zweifle ich ein wenig an meiner Fitness. Zu Jahresbeginn hatte ich mir extra eine Trainerin gebucht. Nachdem ich jahrelang dann doch ein mittelmäßiger Mitteldistanz Marathonfahrer war (krass viele M oder?) wollte ich mir den großen Traum der 113Km Langdistanz beim Ultrabike in Kirchzarten erfüllen. Ich bin bis dato noch nie länger als 5 Stunden auf dem Bike gesessen und habe noch nie Distanzen über 100 Kilometer absolviert. In gut 4 Wochen ist es soweit, doch jetzt werden zunächst die kommenden 24h Stunden zur größten Herausforderung meines Lebens.
Wir lassen den Abend bei Pizza, Pasta und Eis ausklingen (in Finale gibt´s eine Eisdiele die schmiert euch Nutella in die Waffel!!!Porno) und versammeln uns abends in der Toboga, der legendären Fankurve dieses Rennens.
Hier ist Party, hier ist Stimmung, die Solofahrer lassen sich hier frenetisch feiern. Einige drehen hier im Boratkostüm oder Superheldenlatex ihre Runden, denn wie jedes Jahr gibt´s hier ein Rennmotto und das beste Kostüm wird später zum Sieger gekürt.
Ich sehe Fahrer die halten jede Runde in Toboga an, stemmen ihr Bike in die Luft, lassen sich feiern und mit Bier bespritzen. Andere versuchen einen coolen Move mit dem Bike und rotzen sich vor den Augen der Zuschauer voll auf die Fresse.
Die Party wird hier noch die ganze Nacht dauern, aber ich verkrieche mich nun in mein Zelt, denn ich fahre morgen ja noch ein Rennen.
Die Nacht war scheiße, rutschige Luftmatratze, Rockband, Aufregung, ich krieche eher verklemmt als erholt aus meinem Zelt. Nachdem unsere 10 Mann Crew gefrühstückt hat, mache ich erneut einen Ausflug zur Toboga.
Die kreischenden Fans sind genauso verschwunden wie Borat und die Latexhelden. Lediglich der elitäre Kreis der Ultrafahrer (die, die es ernst meinen) ist noch da und präsentiert mir eine Bild des Entsetzens.
Die dynamischen Fahrer, die ich gestern bei der Streckenbesichtigung gesehen habe, sind um Jahrzehnte gealterte, trotz meiner Anfeuerung fehlt ihnen die Kraft sich ein müdes Lächeln abzuringen. Kraftlose Hüllen von oben bis unten verdreckt. Die Dreckkruste wird allenfalls von Blutströmen durchbrochen, die man sich beim nächtlichen Abflug in die Botanik zuzog.
„Meine Fresse Alter!“ denke ich mir als mir in diesem Moment das Ausmaß eines 24h Rennen bewusst wird.
Diese Menschen sind tatsächlich die ganze Nacht durchgefahren, während wir gestern das Fahrerlager errichteten, die Strecke besichtigt hatten, im Dorf beim Italiener saßen, um später durch die Stadt zu pendeln und Eis zu essen, als wir uns in den Zelten verkrochen und heute Morgen gefrühstückt haben, waren dies Fahrer non Stopp unterwegs.
Ich sah es Live vor meinen Augen, aber ich konnte und wollte das nicht glauben. Es war so surreal, nicht nur in Anbetracht dieser hammerharten Strecke und der Renndauer, sondern auch dem „Mindset“ dieser Athleten. Was um Gottes willen bringt einen Menschen dazu, sich sowas anzutun. Die ultimative Selbstkastration zuzüglich Startgebühr. Die müssen echt einen geistigen Totalschaden haben.
Es ist der Moment, in dem meine bisherigen Bike Idole Mannie Heymans & Carsten Bresser beerdigt werden.
Sie haben zu diesem Zeitpunkt die Bike Transalp Challenge (das bekannteste Mehretappenrennen) dominiert. Solch eine Transalp Etappe war echt schwer, ich selbst trainierte für den Ultrabike der über eine ähnliche Distanz geht. Solche Distanzen über mehrere Tage zu absolvieren war etwas, was ich einem Profi durchaus zutrauen würde. 24h Stunden auf dem Bike zu verbringen war für mich jedoch ein Supergau.
Von diesem Moment an, war jeder dieser Fahrer der „ultimative Athlet“, für mich weit weg von allem was für mich geistig wie physisch begreifbar war.
Nun ist es aber Zeit die Solofahrer alleine zu lassen und mich auf das anstehende Rennen im 4er Team zu konzentrieren.
Ich bin Fahrer Nummer 3 und Fahrer 1 und 2 haben einen super Start hingelegt. Ich geh auf meine erste Runde, um kurze Zeit später beim Anbremsen einer Kurve wegzurutschen und auf die Fresse zu fliegen. Saugeil, noch nicht mal eine Runde gefahren und meine Hüfte ist mit einem DIN A5 Blatt großen Bluterguss überzogen. Man gewöhnt sich dran, denn in der kommenden Nacht werde ich mich weitere zwei Mal ablegen. Während ich den Staffelstab an Fahrer 4 übergebe und meine Wunden im Fahrerlager lecke, braucht ein Teammate erstaunlich lange. Auch er wird seine erste Runde schmerzhaft beenden. Für ihn ist das Rennen mit einer Schultereckgelenksprengung beendet. Es folgen 20 ereignisreiche Stunden in denen wir trotz aller Widrigkeiten auf Platz 1 vorfahren, doch dann setzt Regen ein. Auf der sandigen Oberfläche bildet sich durch den Regen eine Teigmasse die bei Überfahren den ganzen Reifen umschließt, binnen weniger Runden wir die Strecke unfahrbar. Teilweise renne ich die Trails hinunter, weil mein Bike keine sichtbaren Reifen mehr hat, welche mir Traktion spenden könnten.
Vor Ablauf der Renndauer wird das Rennen vom Veranstalter abgebrochen. Die Freude über Platz 1 hält nicht lange, eher verstört sitze ich auf dem Weg nach Hause. Ich kann das Erlebte nicht erfassen.
5 Runden haben mich auf diesem Kurs total hingerichtet, dabei habe ich es nicht geschafft selbst im 4er Team über die Renndauer von 24h zu kommen. Drei Stütze hatte ich, der Kollege im Krankenhaus. Die katastrophalen Bedingungen im Regen und immer noch die abgekämpften Solofahrer im Kopf, die das alleine bewältigen. Auch Jahre später lassen mich diese Eindrücke und Emotionen nicht los. An diesem Wochenende wurden die 24h von Finale Ligure für mich mehr als nur ein Rennen, mehr als ein Bike Event. Man könnte dafür viele Begrifflichkeiten nennen wie z.B. das Kryptonit der Ultrafahrer, ein Mythos. Man könnte sie Mutter der 24h Stundenrennen nennen, weil scheinbar alle anderen Events ihre kleineren Nachkömmlinge sind.
Bei mir hat sich jedoch Königin eingebrannt.
Königin Finale, die über allem thront und über alles herrscht. Sie ist wunderschön und gnadenlos zugleich und nur von ihr kannst du dich zum Ritter der Ultrafahrer schlagen lassen oder du wirst von ihrem Hieb nieder gestreckt. Noch heute, 5 Jahre später empfinde ich Ehrfurcht und ein inneres Unbehagen wenn ich an dieses Wochenende denke.
Nun ja, ich lasse Finale hinter mir und starte wenige Wochen später beim Ultrabikemarathon. Bei schmuddeligen Wetterbedingungen schaffe ich es tatsächlich, die 113 Kilometer und 3200 Höhenmeter in knapp über 6 Stunden zu bewältigen. Noch nie fuhr ich ein Rennen über solch eine Dauer und Distanz.
Ich wähne mich auf dem Zenit meiner sportlichen Leistungsfähigkeit, die Zusammenarbeit mit der Trainerin wird gekündigt und ich erfreue mich eines erfüllten Lebens frei von jeglichem Leistungsdruck.
Nun ja nicht ganz, denn die Geschichte nimmt einen etwas anderen Lauf. Es ist nämlich jene Trainerin Andrea Potratz, die mich fürs kommende Jahr in ihr Team holt. Ehrlich gesagt weiß ich auch Jahre später nicht warum. Ich vermute Andrea hat im Kellergewölbe irgendwo Testprobanden eingesperrt, an denen sie ihre Ernährungs- und Trainingsfolter Methoden testet und nun ist einer verendet und selbiger will adäquat ersetzt werden.
Ich wechsle das Team, werde zum Versuchskaninchen und dieser Blog Becomeapro.one entsteht. Ich erzähle die Geschichte, nein nicht wie ich Profi werden will, sondern was passiert, wenn ein mittelmäßiger Mitteldistanz Marathonfahrer (da ist wieder der Satz mit den M´s) professionell betreut wird. Ich Become zum Pro, nicht auf dem Bike, aber ich werde betreut wie einer. Von nun an heißt es Trainingsplan, Leistungstest, Körperfettmessung, Atemgasanalyse, Ernährungsumstellung und Training, Training, Training.
Nun sind wir im Winter 2021, aber warum erzähle ich vom längst vergangenen Rennerlebnis aus 2016?
Diejenige die meinen Blog die letzten 5 Jahre verfolgt haben werden bestätigen, dass es mir mittlerweile doch etwas leichter fällt, Distanzen an der Grenze zur 100 Kilometer Marke zu absolvieren. Nun reifte in mir der Wunsch an jenen Ort zurück zu kehren, der mich damals so sehr geprägt hatte. Dabei ist es keinen falls so, dass ich dieser Reise nach Finale Ligure mit der nötigen Vorfreude begegne. Noch immer trage ich eine gewisse Ablehnung oder gewisse Hemmungen in mir, welche keinen Falls über die Jahre schwächer wurden.
Wenn ich aber diese innere Ablehnung habe, warum dann das Ganze? Warum gehe ich nicht mal an das Großevent in Duisburg oder bestreite endlich das 24h Rennen im Olympiapark, wo ich die letzten Jahre schon gemeldet war, es aber dann abgesagt wurde.
Hierzu muss man die letzten 3-4 Jahre reflektieren. Im Jahr nach dem Ultrabikemarathon, startete ich bei der 12h Weltmeisterschaft in Penzberg, das Jahr drauf bei meinem ersten 24h Rennen.
Mittlerweile fuhr ich 24h Rennen auf Autorennstrecken in Oschersleben, auf Trails in Chemnitz, auf Deichen beim Alfsee. Ich fuhr 24h Rennen bei 0 Grad und welche bei 38 Grad, welche ganz weit oben im Norden nahe den Niederlanden und welche hier im Süden in der Schweiz. Manche fuhr ich sogar zwei Mal, nur um mich im Folgejahr gleich 10mal zu überrunden um meine Vorjahresleistung zu toppen.
Die Frage die sich mir stellt ist also nicht: Warum 24h Finale Ligure?
sondern
Was sonst?
Dieses Rennen, möge es noch so schwer sein, ist logische Konsequenz von allem was ich hier die letzten Jahre geschrieben habe. 24h Finale Ligure ist quasi mein neuer “Ultrabikemarathon”, mein neuer sportlicher Zenit, eigentlich prädestiniert für den Schlussteil von Becomeapro. Nur dort kann ich mir den finalen Ritterschlag holen.
Als wäre es nicht schon schwer genug, wird im Jahr 2022 das Rennen dank WEMBO nochmals verschärft.
Wembo ist der selbsternannte Dachverband der 24h Ultrabikeszene. Diese Wembo organisiert nicht nur die 24h Rennszene, sondern benennt auch die Austragungsorte für die kontinentalen 24h Meisterschaften, wie auch für die 24h Weltmeisterschaften. Letztere fanden dieses Jahr in Australien statt und nun darf der gewiefte Blogleser raten wo diese Weltmeisterschaft kommendes Jahr stattfinden wird:
Kleiner Tipp: Es ist nicht Timbuktu
So und jetzt möchte ich euch alle bitten,
Dennis, Ralph, Daniel, Jens, Britta, Marco, Suse, Heinz, Toto, Frija, Arno, Dieter, Sascha, Stefanie, Tony, Andreas, Pamela und all die andern legt das Tablet weg, steckt das Handy ein und nehmt die Hand von der Tastatur.
Jetzt gibt´s erst mal einen heftigen Applaus
Und jetzt alle auf 3
1
2
3 und looooooos
Kommt schon etwas lauter…………….Ralph ich kann dich nicht hören………………Britta dahinten du machst nicht richtig mit!
Okay reicht jetzt, Dankeschön.
Es ist tatsächlich so, der mittelmäßige Mitteldistanz Marathonfahrer (da isser schon wieder) wird in seinem 6. Jahr nach Finale Ligure zurückkehren und sich mit den Besten bei der Weltmeisterschaft messen.
Ich werde wie immer alles geben, heimlich weinen und meinen Blogleser mitnehmen…
…auf dem Weg zu meiner Weltmeisterschaft.