Heavy24-#bringszuende
Mein Hinterrad zerberstet beim Kontakt mit der Stoßstange, während ich die Motorhaube eindrücke, um danach mit meinem Rücken die Frontscheibe zu zerbrechen. Das Auto kommt zum Stehen – tot, Rollstuhl oder mit dem Schrecken davon gekommen?! In dem Moment, in dem mich das Fahrzeug nun wieder 10 Meter nach vorne wirft und ich auf den Asphalt pralle, scheint alles möglich. Der Rettungswagen erreicht den Unfallort. Beim Anblick des demolieren Fahrzeugs wird sofort ein Funkspruch abgeschickt: “Helikopter in die Luft, wir rechnen mit dem Ableben des Verunfallten“.
Währenddessen liege ich im Straßengraben, einen Sonnenschirm im Gesicht. Ich werde von Damen mit Cola getränkt und feucht abgetupft, manche würden das schon Wellness nennen.
Ich verbringe die Nacht im Krankenhaus und warum ich nach schon einer Nacht wieder nach Hause kann, kann mir keiner so recht sagen. Die Krankenschwester verabschiedet mich mit dem Wort „Wiedergeburt“, andere meinen ich hätte ein ganzes Bataillon an Schutzengeln gehabt.
Nachdem die Avengers in „Endgame“ ziemlich Federn lassen mussten, vermute ich selbst, ich wäre vielleicht der nächste Marvel Superheld? Ein Mischung aus Thor und Hulk wäre geil, wobei jeder für sich wie wohl auch kombiniert ziemlich beschissene Radfahrer sind.
Nun ja, ich bin wieder zu Hause und der flotte Dreier zwischen meinem Pivot, VW Polo und mir muss entsprechend verarbeitet werden: physisch, psychisch sowie monetär (Materialschaden) – nicht nur von mir, sondern genauso von Pamela und den Kids. In der Folgewoche gelingt mir dies am besten mit schokoüberzogenen Butterkeksen und einem Trio aus Primitivo, Dornfelder und Spätburgunder.
Ich bin heute noch überwältigt von der Anteilnahme und den Support, den ich von meinen Mitmenschen, wie auch von meinen Sponsoren bekomme. Nach ner Rundmail schickt SQlab sofort nen neuen Sattel, Pivot ruft an, Müller wedelt mit neuen Laufrädern und Newmen schickt neue Anbauteile. Alle versuchen mich so schnell wie möglich wieder aufs Rad zu bekommen, welches dann schon nach wenigen Tagen wieder Einsatzbereit scheint. Während ich mir selbst von Schürfwunden und einer starken Rückenprellung gebeutelt, noch nicht mal die Schnürsenkel zubinden kann.
Tim, Andreas, Jens, Frederick, Ant und Dag. Vielen Dank dass Ihr da seid.
Um die Gegenwart zu verarbeiten, muss sie zur Vergangenheit werden und somit versuche ich die Flucht nach vorne indem ich mir als Ziel setzte, das Heavy24 in Chemnitz zu bestreiten.
Dazu bleiben mir 3 Wochen. Diejenigen, die von diesem Plane erfahren schütteln unglaubwürdig den Kopf. Die nachhaltigen Blogleser unter euch werden jedoch wissen, wenn es um den geistigen Erguss völlig bescheuerter Ideen geht, gehöre ich immer zu den Topfavoriten. Physio Nadine wird zu Sonderschichten verdonnert und ich versuche den Balanceakt zwischen „gesund und schmerzfrei“ aber fit für ein 24h Solo zu meistern.
Tatsächlich gelingt es dann, dass ich 4 Tage vor dem Rennen zum ersten Mal ohne Schmerzen bin und den Rollentrainer wieder gegen das Bike tauschen kann, welches zumindest nach einer 4- stündigen Einheit seine Betriebstauglichkeit nachweisen kann.
Und so beginnt die Reise ins 700Km entfernte Chemnitz zum Heavy24.
Wir treffen Freitagmittag ein und freuen uns die Ultras und Teammates Kai Saaler, Andreas Schmelzer sowie Dennis, Steffen, Steffi und Markus vor Ort zu treffen. Fahrerlager aufbauen, Startnummer holen und ab zur Streckenerkundung mit Dennis. Gekonnt verhaken sich beim ersten Selfie unsere Lenker und wir machen nen Abflug, naja zumindest fast. Als Ausnahmekönner konnten wir uns gerade noch retten 🙂 Den Abend lassen wir dann bei einem Sitzkreis für vereinsamte Solofahrer ausklingen.
Samstag
Frühstück, Materialcheck, Startnummer ans Bike, Flaschen richten und das Gemächt in der Lycra positioniert. Schwupdiwup ist 12Uhr und die Startphase des Heavy24 beginnt. Die Solofahrer werden um 12.12 Uhr als letztes losgeschickt.
Für mich ist dieser Moment eine Riesenbefreiung nach den vergangen 4 Wochen. Ich bin einfach happy hier zu sein. Dennis, Andreas und Herbert haben schon angekündigt mit mir die ersten Runden zu drehen und so bilden wir zunächst ein Quartett, mit welchen wir die ersten Stunden schnell und gut unterhalten absolvieren können. Um nach 24 Stunden in den Top 10 zu landen, brauchst hier eine 30er besser noch 29 minütige Rundenzeit. Unser Paintrain läuft aktuell super mit 26er Zeiten…bis zur Runde 8. Im ersten Trail kurz nach Start-Ziel platzt mein Hinterreifen. Mit Maxalami, CO² Kartusche rücke ich dem Defekt zu Leibe, sogar Dennis hält an und hilft, aber der Reifen wird nicht mehr dicht.
Danke Dennis, dass Du an dieser Stelle kurz gewartet hast. Bist ein toller Kollege.
Ich schicke Dennis weiter, er soll Pamela informieren, während ich drucklos über die Trails räubere. Von einem Service Punkt zum Nächsten hangel ich mich, um immer weiter mit der Standpumpe nachzufüllen, doch beim 3. Versuch ist dann empty. Der Reifen komplett drucklos und ich beginne über den Kurs zu schieben. Ein Zuschauer fragt, ob er helfen kann. Er hat auch Maxsalami dabei und drückt mir 3 weitere Salamis hinten rein (man beachte die Zweideutigkeit). Zusätzlich kommt nochmals der Streckenposten angesprungen und wickelt nun noch Panzertape um die Stelle. Das fahren mit dem platten Reifen zieht richtig Körner.
Nach 40 Minuten ist die Runde beendet und ich brauch weitere 5 um das Hinterrad zu wechseln. Meine Oberschenkel beginnen zu zucken als ich auf‘s Rad steige und zeigen ganz klar wie kräftezehrend dieser Defekt war. Von einer Runde zur anderen ist der ganze Benefit, den man sich erarbeitet hat für Arsch. Meine schnelle Gruppe ist weg, der Vorsprung dahin und die bis dato gesparten Körner schlagartig verschossen. Nach nicht einmal 4 Stunden bin ich angeknockt und auf Platz 18 zurückgefallen. Ich bitte Pamela den Salzgehalt in der Flasche zu erhöhen, verpflege mich und nach einer Runde innerlichem Rumgeflenne beschließe ich meine Aufholjagd zu starten. Es folgen weitere 26er Rundenzeiten und kontinuierlich arbeite ich mich durchs Feld. Rund 3,5 Stunden benötige ich um auf Platz 10 zu kommen, wo ich auch plötzlich wieder auf Dennis aufschließe.
Gott sei Dank, ich brauch jetzt ein Hinterrad, denn ich habe mich ziemlich verballert. Bei Dennis bin ich nun wieder dort, wo ich vorher war. Ich hab das Ereignis bereinigt und bin wieder im Rennen. Leider hat Dennis gerade selbst ein technisches Problem und ich muss nach meinem Boxenstopp zum Lichtwechsel nun allein zurück auf die Strecke.
Ich bin noch nie ein 24h Solo so schnell angegangen, schon gar nicht auf solch einem schweren Kurs. Ich wartete auf den Moment an dem sich das rächen wird. Doch der Mann mit dem Hammer zeigt sich nicht, er legt stattdessen einfach ein rostigen Nagel auf die Strecke. Die Euphorie meiner Aufholjagd hat eine Runde gehalten, ehe sie durch einen 3cm langen Nagel erdolcht wird. Ich stehe im dunklen Wald und bekomme die CO² Kartusche nicht aufgedreht.
Beim Check zerfällt sie in alle Einzelteile und ich fahre drucklos weiter bis zum nächster Servicepunkt. Dort liegen auch griffbereit, zwei Schläuche inkl. Standpumpe. Doch die 2 MTB Schläuche mit Autoventil sind mir aktuell so nützlich, wie ein dritter Hodensack. Die kann man zur Reparatur von seinem 100 Stutz Baumarktvelo für den 1. Mai Bierhock verwenden oder wahlweise zum Auspeitschen vom technischen Support hier. Meine Fresse, wer fährt denn Schläuche mit Autoventil bei solch einem Rennen?
Für mich heißt es nun die schnellste Abfahrt und den längsten Trail der Runde auf druckloser Carbonfelge zu meistern. Zudem fehlt mir eine wirkliche Lösung, denn ich hab kein Ersatzrad mehr und die Löcher in den Reifen sind zu groß um mit Schlauch zufahren. Glücklicherweise überholen mich in jener Runde Kai und Dennis. Ich erkläre ihnen meine Situation. Beide versichern mir, sie würden sich darum kümmern, dass Material da ist, wenn ich an die Box komme. (Danke Jungs Ihr wart die Rettung)
So stand immerhin das Ersatzhinterrad von Dennis bereit. Laufrad wechseln, Bremsen ausrichten, Schaltung einstellen und zurück auf die Strecke.
Ich sags euch Leute – es ist gerade sooooooo abgefucked hier. Meine Pumpe liegt zerbröselt im Wald, mein Material ist durch, mein Körper ist durch und mein Kopf ist durch. Es sind gerade 10 Stunden vorbei, noch nicht einmal Halbzeit und das Heavy24 hat mich erledigt. Pamela verpflegt mich nochmal ehe sie ihre verdiente Nachtruhe bekommt und ich bin nun ohne Betreuer als Selbstversorger unterwegs. Momentan weiß ich nicht, wie ich das hier zu Ende bringen soll. Ich denke oft ans aussteigen und auch Pamela hatte mich beim letzten Stopp gefragt ob ich nicht raus möchte. Darüber wollt ich mir aber in den kommenden Runden Gedanken machen. Zunächst gingen mir die vergangenen Wochen durch den Kopf. Die Gespräche mit meinen Sponsoren und wie sehr sie sich bemüht haben, dass ich einen fahrbaren Untersatz bekomme. Was erzähle ich nun, wenn ich einfach aufhöre, wobei sicher jeder Verständnis dafür gehabt hätte. Als nächstes kamen mir meine Schutzengel in den Kopf. Die 2 Defekte waren ein klares Zeichen. „Schau her Daniel, so läufts wenn wir mal nicht da sind und du hast dein Glückskontingent dieses Jahr schon verbraucht. Freu dich das du überhaupt noch auf dem Rad sitzt und mach was draus“.
Danach überlege ich mir, was ich denn meinen Bloglesern so erzählen würde. Im Unterbewusstsein verfasse ich tatsächlich schon Geschichten, während ich das Rennen erlebe. In diesem Moment denke ich viel über das ganz Influenzer Gedöns nach, wie wir uns via Social Media immer so stark reden mit #Maschine,#keepfighting#nevergiveup und diesen ganzen halbstarken Durchhalteparolen. Genau das ist der Moment, der definiert ob du ein Lauch bist der sein #nevergiveup nur auf seinem Instafeed lebt oder eben ne Mischung zwischen Hulk und Thor.
Ich hab jede Runde daran gedacht mich ins kuschelige Wohnmobil zu legen, aber ich wollte ums verrecken kein Lauch sein. Nicht heute, nicht bei diesem Rennen, nicht mit dieser Vorgeschichte. So fahre ich durch die Nacht, alle 2,5 Stunden verlasse ich die Strecke um am Wohnmobil den Akku zu wechseln und mich zu verpflegen. Das gelingt mir bis morgens um 4 Uhr, dann ist der Ofen endgültig bei mir aus. Ich bin einfach nur leer, bin müde, mir ist schlecht und gleichzeitig habe ich Hunger, bekomme aber kein Riegel, Gel oder Isodrink mehr runter.
Dann mache ich erstmalig etwas, was ich bei solch einem Rennen noch nie gemacht habe. Ich verlasse die Strecke und gehe in das Verpflegungszelt. Und da steht er, ein Typ wie Dwayne „The Rock“ Johnson. Groß, muskulös, Tattoos und hautenges Shirt. In der rechten Hand hält er mit angespanntem Bizeps, 1Kg Leberwurst, in der andern Hand ein Messer mit welchem er selbige auf abgepackte Brotscheiben schmiert. Ich bin schockverliebt und etwas feucht im Schritt. Rund 10 Minuten suhle ich mich in seinem Aphrodisiakum aus Leberwurstbrot, Rindsbrühe und Cola. Ich summe unterbewusst U2 „with or without you“ vor mich hin, ehe ich mich genährt wieder zurück in den kalten Wald schleppe und Dwayne mit seiner mächtigen Leberwurst zurück lasse.
So überstehe ich die kommenden Stunden bis zum Sonnenaufgang und gegen 7 Uhr ist Pamela auch wieder an der Strecke um den Boxenstopp zum Ablegen der Lichtanlage vorzubereiten.
Als ich von der Strecke komme sagt sie mir ich liege auf Platz 5, habe aber nur wenige Minuten auf Platz 6 Vorsprung. Mir geht es gerade elendig. Mein linker Knöchel ist geschwollen und ich kann kaum noch treten. Teilweise bin ich ausgeklinkt gefahren, um den Fuß zu entlasten und hab nur rechtsseitig getreten. Ich brauche Essen, einen warmen Tee und meine Massagepistole für den Fuß. Pamela sagt energisch: „Du verlierst jetzt Platz 5“ – nach ein tiefgründigen Analyse der Situation antworte ich : „ist mir doch scheißegal“
Glücklicherweise kommt Dennis gerade zum Stopp und Pamela sagt: „Du fährst jetzt gefälligst mit ihm weiter.“ So nehmen wir die letzte 6 Stunden in Angriff. Leider habe ich beim letzte Stopp die 10 Minuten Vorsprung auf Platz 6 komplett eingebüßt und Thomas Güra ist nun gerade noch 20 Sekunden hinter Dennis und mir. Wir fahren einige Runden gemeinsam, aber Dennis muss rausnehmen um bis 12 Uhr durchzuhalten. Ich muss Tempo machen möchte ich auf Platz 5 bleiben und ziehe davon.
10 Uhr, noch 2 Stunden + 1 Runde zu fahren. Mein Fuß brennt wie Feuer, ich kann nicht mehr treten und verlasse erneut die Strecke um meinen Fuß zu massieren. Pamela sagt ich hätte 1.30 Minuten raus gefahren. Ich selbst muss jetzt einigermaßen schmerzfrei werden und lasse Thomas an mir vorbei ziehen und rutsche auf Rang 6 ab.
Nun stellt sich gut 4 Runden vor Schluss die Frage wie es weiter geht:
- Ich könnte nun meine Schmerzen verwalten und die letzten Stunden im Ecomodus auf Rang 6 beenden.
- Ich könnte auch versuchen die Lücke zu Thomas zu schließen und mich an seinem Hinterrad festbeißen. Allerdings würde er dann merken, dass es mir nicht gut geht und seine Moral könnte entsprechend wachsen sich Platz 5 zu sichern.
Ich entschließe mich für Option Nummer 3: Da ich nicht weiß, wie lange der Fuß hält, muss ich nochmals volle Attacke fahren. Ich muss Thomas einholen und ihm zeigen, dass es nix gegen mich zu holen gibt. Idealerweise fahre ich so viel Vorsprung heraus, dass ich immer wieder Massagepause einlegen kann. Ich kippe Gels, Cola, Red Bull in mich hinein und beginne nun meine persönlichen Tagesbestzeiten zu fahren. Thomas fährt aktuell 31er Rundenzeiten, während ich 29er oder 30er Zeiten fahre. So kann ich in den letzten 4 Runden nochmals an Thomas vorbeiziehen und mit 6 Minuten Vorsprung das Ziel erreichen.
So sichere ich mir nach 415Km und 5800Hm den 5. Platz hinter Dennis.
Heute ist Mittwoch, wir sind zurück aus Chemnitz und ich schreibe gerade diesen Blogbeitrag. Mein Fuß ist in Zinkleine gehüllt und ich gönne mir etwas Ruhe, bis ich wieder anständig laufen kann. Ein sehr ereignisreiches Heavy24 liegt hinter mir. Im Nachgang betrachtet war dieses Rennen wohl eines der Wichtigsten, die ich je gefahren bin. Zum einen um die negativen Ereignisse der letzten Wochen abzuschütteln und hier einen Neustart zu wagen. Zum anderen war keines meiner bisherigen Ultrarennen lehrreicher. Mein Körper hat gezeigt, er kann auch ein aggressivere Fahrweise in solch einem Rennen wegstecken und ich muss nicht mehr mit angezogener Handbremse fahren, weil ich sonst nicht durch komme. Wie immer gab es schwierige Momente – das ist Ultracyling, genau dafür hassen und lieben wir diese Rennen.
Ich bin in diesem Rennen mental extrem gewachsen und möchte Euch sagen es ist normal, dass es einem „Scheiße“ geht, was aber längst nicht bedeutet, dass es euren Mitstreitern bessern geht. Das Heavy24 hat eindeutig gezeigt, ich habe 1-2 Plätze durch meinen Defekt verloren, aber ich habe genauso mehrere Plätze durch die Probleme der anderen gewonnen, weil sie die Nacht nicht durchgestanden haben. Wie es am Ende für euch ausgeht wisst ihr allerdings nur, wenn ihr den Scheiß auch zu Ende bringt.
Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich in den letzten Wochen, wie auch am Rennwochenende unterstützt haben. Es darf sich jeder angesprochen fühlen.
Größter Dank gilt meiner Gattin Pamela, die nicht nur mich, sondern auch die Kids am Wochenende versorgen musste. Du warst spitze und bist viel mehr besser als wie Dwayne 🙂
So schließe ich diese Geschichte mit einem #bringszuende