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Race & Tour

Belchenhoch4-Ich mach´s mir selbst

Nun ja, dass es bis Juni 21 kontinuierliche Rennabsagen hagelt, daran wollte ich zu Beginn des Jahres nicht so recht glauben. So rechnete ich spätestes im April mit den ersten Vorbereitungsrennen, wurde aber wie ihr auch eines Besseren belehrt. Irgendwie wollte ich aber meine Beine dennoch testen und plante ein 10K Everesting im Mai, welches aber aufgrund des Wetters sprichwörtlich ins Wasser fiel. Mein Gott, war dieser Mai verschifft und ein Everesting im Dauerregen und im einstelligen Temperaturbereich brauchte ich so dringend wie eine dritte Kniescheibe an der Stirn. So keimte die Idee, erneut die BelchenHochDrei zu fahren. Hierfür eine schlagkräftige Truppe zusammen zu bekommen, sollte nicht allzu schwer sein… dachte ich zumindest. Vier bis acht Mann sollten es sein, alle motiviert bis in die Haarspitzen („weil ja keine Rennen“), mit einer optimierten Routenführung („nicht über die Autobahn“), ohne Verlust von Fingern oder ähnlichem, sollten die BelchenHochDrei deutlich einfacher und schneller zu absolvieren sein als im Vorjahr. Doch Pustekuchen, die einen hatten sich aufgrund der Pandemie erst gar nicht in Form gebracht, andere wurden gerade geimpft oder hatten sich selbst anderweitig verplant. Ich fand tatsächlich nicht einen einzigen Mitstreiter und stand nun vor der Entscheidung, mach ich es selbst für mich und wage einen Soloritt, oder nicht.

Das Profil

Nach dem Zweikampf im Vorjahr mit Sascha Ernst fehlte mir irgendwie die mentale Stärke, um die BelchenHochDrei nun alleine zu fahren und ich suchte nach einem Triggerpunkt, irgendwas, was mich kitzelt, um das Ganze dann doch in Angriff  nehmen zu können. Sich die Führungsarbeit zu teilen, gemeinsam zu leiden, sich auch mal anzustacheln oder sich einfach nicht die Blöße geben zu wollen nun aufzuhören… Mitstreiter bei einem 15 Stunden Ride zu haben, kann es so viel einfacher machen. Wie könnte das nun in einem Soloride für mich klappen?

So schaute ich mir die Routenführung mit ihren 330 Kilometern und 4500 Höhenmetern nochmals an und kam auf die Idee, noch einen vierten Belchen einzubauen. Der  Petit Ballon, welcher direkt nach dem Grand Ballon zusätzlich zu bewältigen wäre, schraubte die Höhenmeter in Summe auf 5000. Die BelchenHochDrei würde so also zur BelchenHochVier mutieren. Der gebildete und aufmerksame Leser wird sich an dieser Stelle nun  mit einem „Hä?“ fragen, „Was soll das jetzt“.  Ich muss gestehen, unter den genannten Vorzeichen einen zusätzlichen Belchen in die Route einzubauen, ist so intelligent, wie zum Mittagstisch in Wuhan ein halbgares Gürteltier mit Fledermaustopping zu verspeisen. Das tatsächliche Ausmaß dieser Aktion wurde mir wohl auch erst am Tag des Geschehens so wirklich bewusst. Aber wie geschrieben, die Aussicht, nun solo die identische Runde vom Vorjahr zu fahren, sorgte für wenig Tatendrang. Einen 4 Belchen zu fahren war mein Triggerpunkt, zudem konnte ich im Nachgang (sollte ich es tatsächlich schaffen) jedem BelchenHochDrei-Fahrer erzählen, was er eigentlich für ein „Lauch“ ist, wenn er lediglich 3 Belchen auf 330 km bewältigt.

So stand nun der Plan meines BelchenHochVier Solos, welches ich dann vergangenen Samstag unter die Räder nahm.

5.30 Uhr ging´s los

5.00 Uhr klingelt der Wecker, ne kleine Schale Haferflocken runter gewürgt, Zähne gputzt, Eier und Hintern mit Ringelblumenmelkfett gesalbt („Ein Arsch kann nicht besser riechen“) und um 5.30 Uhr war ich schon im ersten Anstieg aus meinem Dorf hinaus in der Anfahrt zur Schweiz.

Sahnetag

Schweiz-Belchen 1  (Belchenflue, Chilchzimmersattel)

Es ist immer wieder überraschend, wie schön die gewohnte Landschaft wirkt, wenn man sie nur mal zu einer anderen Tageszeit fährt. So sorgten die ersten Kilometer in der Morgensonne für gute Stimmung. Die Anfahrt zum Schweizer  Belchen war im Vorjahr gleichermaßen aufregend wie anstrengend. Ich kannte dieses Stück nicht und war von der Schönheit wie auch von Rampen an der Sissacherflue und der Belchenflue gleichermaßen beeindruckt.

Morgensonne…

Es lief super, bis dato war es ein Sahnetag. Kaum Wind, blauer Himmel, gute Beine und angenehme Temperaturen sorgten für Spaß und guten Vortrieb. So war ich genauso schnell wie im Vorjahr unterwegs, konnte sogar laut der späteren Strava-Auswertung die ein oder andere PR im Uphill wie auch in der Anfahrt zum Elsass erreichen. Von der Schweiz schnell nach Deutschland und über die nächste Brücke ins Elsass, wo schon Schwiegerpapa Dieter mit dem Begleitfahrzeug wartete. 3 Länder in 3 Minuten ist easy möglich. Flaschen gewechselt, Weste abgegeben und weiter ging‘s.

Gleiche geschafft der erste Belchen

Es folgten zwei Transferstücke mit Treffpunkt in Altkirch und später beim Einstieg in den Grand Ballon.

France-Belchen 2/3 (Grand Ballon / Petit Ballon?)

1000 Höhenmeter hatte ich schon an der Belchenflue in den Beinen – jetzt hieß es Strecke machen, um zum nächsten Belchen zu kommen. Langsam spürte ich die ersten Verschleißerscheinungen. Es wurde wärmer, ich war über 5 Stunden unterwegs, die Spritzigkeit ging langsam verloren und ich hatte bis dato gerade mal 1/5 der Höhenmeter gesammelt. Gott sei Dank stand dieses Mal der Wind besser als im Vorjahr und ohne Ausflug über die französische Autobahn erreichte ich nach 150 Kilometern den Fuß des Grand Ballon.

Erste Verschleißerscheinung

Ich dachte „mir geht´s noch ganz gut und ich liege super in der Zeit“ und nach der Verpflegung startete ich den 21 Kilometer langen Anstieg zum großen Belchen. Es brauchte exakt 3 Spitzkehren und ich war platt. Die Hitze stand in den Serpentinen, mein Kopf glühte und ich hatte den kleinsten Gang gekettet und maximal noch 230 Watt auf dem Pedal. Mit meinem Speed waren das 2 Stunden Aufstieg, aber diese Tiefen muss man durchleiden. Ich ergötzte mich daran, dass ich im Aufstieg 3 Rennradfahrer ü70 überholte und ich selbst einen „frisch gedehnten und pausierten“ Radler, der gerade seine Aufholjagd auf mich startete, abwehren konnte. Dieter begleitete mich mit dem E-Bike und bei aller Schinderei war ich noch immer nicht gesättigt von der Schönheit der Route des Crêtes. Ich vertrieb mir die Zeit damit, die Parkplätze an der Strecke genauer zu beäugen („wo könnte ich demnächst mal im Wohnmobil pennen“). Irgendwann hatte das Leiden ein Ende, zunächst erkannte ich die Kugel des Grand Ballon, nach der nächsten Kurve schon das Ortsschild. Vor meinem geistigen Auge (die Beine gaben es nicht her) sprintete ich die letzten Meter durch ein Spalier der frisch geschlüpften Mückenplage. „Pflog, Pflog, Pflog“ – ich fühlte mich wie ein 40-Tonner auf der Autobahn, während die Mücken Nummer 1-439 auf meiner Sonnenbrille zerschellten und ich total abgekämpft die Kuppe des Grand Ballon erreichte. Ich schleppte meinen Kadaver zum Fahrzeug, kurze Erfrischung und Energy Gels in sämtliche Körperöffnungen gedrückt.

Leiden am Grand Ballon…

Dieter fragte mal vorsichtig „vierter Belchen Ja/Nein?“. In dem Moment gaben Geist und Körper nicht viel her, aber ich hatte schon im Aufstieg darüber nachgedacht: „Irgendwann heute Abend werde ich zu Hause ankommen. Ich weiß nicht genau, wann oder wie, aber ich werde bei Pam und den Kids sein. Irgendwann werden meine Beine nicht mehr den ganzen Sauerstoff verschlingen und mein Hirn auch wieder etwas davon abbekommen. Ich werde mich dann sicher ärgern, genau in diesem Moment nicht gesagt zu haben „komm, wir versuchen es“. Jetzt stehe ich also vor der Wahl, mich darüber zu ärgern, mich mit dem vierten Belchen total übernommen zu haben, oder mich darüber zu ärgern, es nicht versucht zu haben.“ Somit fiel der Entschluss: ab zum vierten Belchen, dem Petit Ballon.

…und seinem kleinen Bruder

Was mir da noch nicht so ganz klar war: um an den Fuß des Petit Ballon zu kommen, musste ich die wunderschöne Route des Crêtes verlassen und noch einige Höhenmeter zum Col de Platzerwasel meistern. Auf die Höhenmeter hätte ich gern verzichtet, aber dieser Streckenabschnitt war wieder so idyllisch und wunderschön und ich bin froh um diese Erfahrung. Gefühlt war eh gerade ganz Frankreich hier oben mit dem Rad unterwegs, so auch zwei Profis vom DSM Team, die mir entgegen kamen.

Nach einer rauschenden Abfahrt nach Sondernach bog ich in eine kleine, unscheinbare  Dorfstraße. Hier im Tal stand nun die Hitze, rauer französischer Asphalt mit Schlaglöchern, so groß wie deutsche Kiesgruben. Vor jedem Haus sprudelte üppig ein Brunnen, die Gärten feucht wie 18-jährige Jungfrauen. Dem ersten konnte ich widerstehen, dem zweiten nicht mehr. Helm ab und ne schön Kopfdusche. Die Birne abgeschreckt wie ein Frühstücksei folgte der Einstieg zum Petit Ballon. Weitere 10 Kilometer Aufstieg standen bevor, glücklicherweise hatte sich mein Zustand wieder gebessert. Ich hatte mich erholt, konnte statt 230 Watt nun wieder 260-270Watt fahren und konnte so den dritten Blechen des Tages einsacken.

3 hab ich schon

Ich war froh, die heißen Vogesen hinter mir zu lassen, während sich in der Ferne über dem deutschen Belchen ein Gewitter zusammen braute. Nächstes Ziel war das Kernkraftwerk Fessenheim mit der Überfahrt nach Deutschland. Auf den bevorstehenden 50 Kilometer pendelte sich meine Reisegeschwindigkeit bei 35 km/h ein, dennoch schien mir dieses Transferstück nicht enden zu wollen. In der Planung denkt man immer, die eigentlichen Berge sind die Challenge, für mich sind es aber immer wieder diese Teilstücke, um überhaupt dorthin zu kommen.

Deutschalnd-Belchen 4

Gegen 19 Uhr und nach 260 Kilometern ging es an die letzten Höhenmeter. Zunächst die 14 Kilometer zum Wiedener Eck, danach die Überfahrt zur Belchen Talstation und dann zum finalen Aufstieg. Das Gewitter war vorbei und die verbliebenen Wolkenfelder sorgten für niedrigere zweistellige Temperaturen.

Jetzt wird´s zäh

Der Tag war mittlerweile wie der letzte Lockdown „hart  & lang“ geworden. Schon bei der Komoot-Planung mit dem viertem Belchen hatte ich beschlossen, sollte ich die Zusatzschleife mit dem Petit Ballon fahren, würde die Tour mit der Bergankunft am letzten Belchen enden. Das würde dann mit den Kilometern und der Fahrzeit nahezu zur Original BelchenHochDrei-Strecke passen, auch wenn ich mir den Schnitt versaute, indem ich die letzten abschüssigen Kilometer zum Startort nicht mehr mitnahm. Die Bedingungen waren gut, aber mittlerweile wollte ich dann auch, dass es vorbei war. Jeder Kilometer schien doppelt so lang und mit Wiedener Eck, Überfahrt und dem letzten Belchen hatte man kopfmäßig noch 3 Etappen zu bewältigen. Irgendwann sah ich Dieter und den Parkplatz des nächsten Zwischenstopps, aber ich winkte ihm kurz zu und sagte „wir ziehen durch“ – ich hatte nicht mal mehr Bock auf ne Verpflegungspause, weder am Wiedener Eck, noch an der Talstation zum Belchen. Gegen 21 Uhr erreichte ich den Gipfel des letzten Belchen, mit fast der identischen Fahrzeit zum Vorjahr, allerdings solo  und mit einem Belchen mehr in den Beinen.

Ich habe fertig

Natürlich bin ich happy über meine Runde. Ich habe auch immer das Gefühl, ein 12-Stünder oder länger macht dich zwar zunächst für ne Woche fertig, aber davon zehrt man dann in allen Rennen oder Ausfahrten danach. Somit guter Tag, tolles Erlebnis, starkes Training.

Danke Dieter für den Top Support

Schwiegerpapa Dieter

Happy ride

Daniel