24h Alfsee-RIP Walter
Irgendwann war´s dann soweit: das Rennwochenende am Alfsee stand bevor. Es sollte mein zweites 24 Stundenrennen werden und mein erstes Rennen dieses Jahr. Im letzten Blogbeitrag gab´s quasi das Intro zum Event. Nun ist alles vorbei und es folgt ein weiterer Rennbericht:
Es ist Freitag und Anreisetag zum Alfsee. Knapp 700 Kilometer liegen hinter uns und wir kommen gegen 15 Uhr auf dem Campingplatz am Alfsee an. Das Beziehen unserer Bloghütte läuft genau so reibungslos wie die Anfahrt, ungewohnt entspannt. Wir richten das Fahrerlager ein. Mit Kai Saaler, Helmut Wolf, Michael Kochendörfer und Sascha Ernst geht´s zur Streckenerkundung, gefolgt von der anschließenden Pastaparty. Alles scheint zu passen, nur mein Kopf will nicht. Ich sitze da und wünsche mir schon den Sonntag herbei. Ich habe keine Lust auf den Alfsee und keine Motivation für´s Radfahren. Ich bin schon „mindfucked“ ehe das Rennen begonnen hat.
Auch am nächsten Morgen fehlt mir jegliche Körperspannung und die Lust auf´s Leiden. Mittlerweile ist auch Jochen Böhringer eingetroffen mit der Bitte seinen Verpflegungspunkt bei uns einzurichten. Man hilft sich hier wo man kann, man kämpft gemeinsam statt gegeneinander. Zudem bietet ein gemeinsamer Verpflegungspunkt die Möglichkeit, seinen Mitstreiter zu sabotieren wo´s nur geht. Heimlich habe ich in Jochen´s Trinkflasche gepinkelt. Als ich aber später gesehen habe, mit welchem Tempo er an mir vorbei fliegt, hätte ich das wohl lieber bei meiner Flasche gemacht.
Um 14 Uhr stehen wir dann im Startblock, die Temperaturen übersteigen knapp die 10 Grad, nachts soll´s bis auf 3 Grad runter gehen. Endlich geht´s los und wir drehen unsere Runden. Die Teilnehmer sind mit den kurvenreichen S0 Trails überfordert. Mit ihren AM Fullys stehen sie quer im Trail, weil sie sich nicht über Sandhügel oder Wurzeln trauen. Neben der Brücke liegt der Erste blutend am Boden mit Notarzt, an der ersten Deichpassage wird schon in Dreierreihe geschoben und vor mir überschlägt sich jemand bei 9 Km/h, weil er sich mit dem Lenker im Absperrband verheddert. Die weiteren Deichpassagen, die es zu erklimmen gibt sind gespickt mit abgerissenen Kettengliedern. Sogar ein Schaltwerkskäfig habe ich entdeckt. Was ein Gemetzel und das Fazit nach gerade mal 3 Runden. Mittlerweile ist die Sonne etwas da, ich bin viel zu warm angezogen und ich leide nach gerade mal 2 Rennstunden an Kopfschmerzen. Bin ich froh, dass Sascha bei mir ist und mich moralisch über den Kurs zieht. Mittlerweile hab ich mich etwas entkleidet und auf den Trails freie Fahrt zu ungunsten von Sascha. Nach den Trail Passagen dauert es fast 10 Minuten bis er wieder zu mir aufschließen kann. Nach wenigen Runden müssen wir unseren Plan verwerfen, zumindest gemeinsam bis in die Nacht zu kommen. In der nächsten Runde knackt´s dann mächtig im Gebälk, nein das Rad ist noch heile, es war mein Rücken und von nun an strahlt ein Schmerz von der Hüfte ins recht Bein bis zum Fuß und vom Schulterblatt in den Nacken. Glücklicherweise sind es nur noch 20 Stunden bis ins Ziel, denke ich mir ironischerweise und beginne auf den Flachpassagen freihändig fahrend meinen Nacken zu massieren und mein Rücken einzurenken. Die Stimmung ist miserabel und ich dachte es könnte nicht schlimmer werden, doch dann kam er…
„Nein ich bin nicht altmodisch, doch ich bin offen für neues, eigentlich ein Freund der Veränderung, Nichts ist so beständig wie der Wandel ist genau mein Motto aber nun kam er…
…der übermotivierte E-Biker“
So,
der E-Bike Verkauf boomt und die heutigen E-Bike Käufer, sind die Eventteilnehmer von Morgen, welche mit ihren Startgeldern die Eventkassen der Veranstalter füllen sollen. Genau dieser E-Biker war bisher konditionell nicht in der Lage einen nahelegenden Berg zu erklimmen und entsprechend seine Radbeherrschung auf das Niveau eines Mountainbikers zu bringen, der hin und wieder dann auch mal einen Trail fährt. Genau solcher steht jetzt quer auf dem Trail, stößt aber bei mir auf viel Verständnis, weil auch nicht E-Biker hier teilweise überfordert sind, doch dann kam er…
Der E-Biker, der es nicht einmal schafft, die Deichpassage mit ihrer 20% Steigung zu erklimmen. Trotz 250 Watt Power Motor springt er kurz vor der Kuppe vom Rad, schreit ganz wild und wirft sich mir in den Weg, während ich ihm in die Wade fahre.
Für alle Leser die es gerade hier nicht verstehen. In einer wirklich steilen Bergaufpassage habe ich es geschafft einen E-Biker mit 250 Watt Motor von hinten zu rammen. Nach meiner eh durchwachsenen Gemütslage war dies der erste Tiefpunkt dieser (Sport) Veranstaltung. Nein, ich bin nicht altmodisch, aber das ist nun mal wie eine dritte Kniescheibe an der Stirn, braucht einfach niemand. Es ist früh im Rennen und ich bin schon dabei mir kleine Meilensteine zu setzen, Teilziele und motivierende Gedanken. Manchmal zollen mir die Teamfahrer ihren größten Respekt, wenn ich sie als Solist überhole. Ich werde von Jochen überrundet und es gibt aufmunternde Worte. Ralf Kaltz (bisher nur von Facebook bekannt) kommt vorbei – du man freut sich, sich endlich mal kennen zu lernen (auch wenn´s nur 30 Sekunden sind) und ein herzliches Arschloch bekomme ich auch noch von nem 8er Teamfahrer, weil ich die Spur nicht sofort frei mache. Es sind dann wirklich Kleinigkeiten an denen ich mich erfreuen kann
Die Aktualisierung meines Schlachtplans lautet, fahren bis zur Lichtpflicht um 20.30 Uhr, dann wird ein Schadensbericht erstellt und dann wird geschaut ob´s weiter geht. Aktuell habe ich gar keine Hemmungen das Rennen nach 6 Stunden zu verlassen. In Runde 10 geht´s dann von der Strecke, es folgt ne Runde Blackroll, einen Versuch den Rücken zu mobilisieren, sowie das Anlegen der Nachtbekleidung + Licht. Nach diesem 15 Minuten Break geht es mir erstmals wieder besser, zwar nicht gut aber besser. Ich kämpfe sowieso nicht um die Zeit, sondern ums Überleben. Ich krampfe mich irgendwie zurück ins Geschehen und ein nächstes Ziel muss definiert werden. Die Defekte häufen sich. Immer mehr Fahrer versuchen ihre verklemmte Ketten am Streckenrand zu befreien oder ganz zu wechseln. Ein paar „Coole“ drehen ihre Runden mit ihren Fatbikes, dumm nur wenn man genau mit solch einem Bike ein Platten erleidet und man diesen mit einer Handpumpe beheben muss. Ich meinte den armen Kerl noch montags bei meiner Abreise pumpen zu hören. Ich peile grob die 170 Kilometermarke an, das wäre für mich Halbzeit. ~ungefähr 350 Kilometer wollte ich fahren, erreiche ich die ~170Km vor 2 Uhr nachts, wäre die Hälfte geschafft.
Der spannende Teil eines 24 Stundenrennens steht bevor, denn nachts gibt es die Opfer und im Morgengrauen findet man die Leichen. Auch jetzt hat es schon 3 etatmäßige Top 10 Fahrer gekostet und auch bei mir läuft’s nicht reibungslos. Zunächst verabschiedet sich meine Vorderradnabe mit einem Lagerschaden. Ich zögere den Laufradwechsel jedoch bis zur “Nachtpause“ hinaus, um nicht mehrfach anzuhalten. Mein Freund Sascha liegt schon längst im Bett. Zu diesem Zeitpunkt bezweifle ich, dass er nochmals auf den Bock sitzt. Ich gönne mir eine Pause.
Es ist nachts um 3 Uhr, es hat nur noch 3 Grad und ich stelle mich auf die zweite Rennhälfte ein. Genau diese beginnt mit einem Desaster: nach 20 Minuten auf meiner ersten Runde verreckt mein Akku und meine Lampe quittiert den Dienst. So stehe ich nun in der Pampa am Alfsee, kann meine Hand nicht vor Augen sehen und bin Kilometer weit weg vom Betreuer mit dem Ersatzakku. Ich nehme Tempo raus und hoffe auf die Nachzügler. Ich bitte beim Überholen, ob sie etwas das Tempo drosseln und ich im Lichtpegel mitfahren kann. In einer Dreiergruppe faul ich so langsam hinten raus. Mein Speed reicht einfach nicht, aber ich schaff´s grad so im letzen Lichtstrahl zu Christoph, meinem Betreuer.
Ja irgendwie ist das mit Alfsee und mir nicht die große Liebe. Das nächste erklärte Ziel ist der Sonnenaufgang. Dieser ist aber gut 2,5 Stunden entfernt und die Motivation hab ich wohl in der Blockhütte vergessen.
Es wurde nun Zeit für meine Geheimwaffe.
Wenn du erst einmal an dem Punkt bist wo nix mehr geht, der Gedanke an die unzähligen Trainingstunden dich nicht mehr antreiben, wenn du dein geliebtes Rad lieber verbrennen statt putzen möchtest, dich 10 jungfräuliche Playmates im Ziel eher abschrecken als dem selbigen näher bringen, wenn du vor 2 Stunden schon Mausetot warst und nun noch viel töterer bist, ja dann hilft wirklich nur eins und das hilft immer und bei jedem. Es hat sich bei den Ultrafahrern noch nicht etabliert, ist aber wissenschaftlich erwiesen, es hilft sofort und nachhaltig.
Ich rede von HP Baxter und „Hyper Hyper“ nachts um 4, im kalten, dunklen Wald am Alfsee bei 85 Dezibel.
Ihr glaubt das nicht? Probiert´s mal aus.
Die einen fühlen sich beim „Hyper Hyper“ Schlachtruf zurück in ihre Jugend versetzt, in jene Zeit, als sie potent und voller Kraft strotzend unsterblich waren. Das motiviert, das macht wieder schnell…
…bei den andern löst das „Hyper Hyper“ Gebläre einen fluchtartigen Reflex aus, man will förmlich vor der Vergewaltigung der Ohrmuschel fliehen und beginnt automatisch schneller zu treten.
Zu doof nur, wenn sich dein Ipod lieber für Adele statt Scooter entscheidet. Die Quälerei findet kein Ende und mit Adele steigt das Verlangen nach etwas warmem, molligen.
Plötzlich entdecke ich ein Hindernis auf dem schmalen Trampelpfad, erst spät erkenne ich, „oh, nein“ es ist ein Igel. (Fortlaufend nun Walter genannt)
Igel Walter liegt mitten auf dem Pfad, auf dem Rücken, alle Viere von sich streckend. Zunächst hoffe ich es ist nur eine Art schockstarre in der Walter verharrt, aber die nachfolgenden Runden zeigen ein unverändertes Bild. Walter ist ein weiteres Opfer der Nacht, womöglich auch der Grund für die Reifenpanne am Fatbike.
„Nun ja armer Kerl“ denke ich „ich dachte mir geht´s schlecht, aber dich hat´s übler erwischt“
Und so spule ich Runde für Runde ab, um nach Walter zu schauen, der dann im Morgengrauen urplötzlich weg ist, aber lediglich wenige Meter bei Seite geräumt wurde.
RIP Walter
Die Sonne geht auf, ein trügerischer Moment. Man denkt man hat´s bald geschafft, doch es sind noch 8 Stunden zu fahren. Auch Sascha hat sich nochmals auf´s Bike gekämpft und spult schon wieder Runden. Zeit, dass Christoph aufsteht, um eine Bestandsaufnahme zu geben.
Sascha ging auf Platz 33 aus der Nacht. Ich selbst auf Platz 11 lautet das Resümee. Die entscheidende Rennphase steht bevor. Da ich bestenfalls mit einer Top 15 Platzierung gerechnet hatte, bin ich mit Platz 11 überglücklich und wollte diesen lediglich verwalten….doch es sollte vieles anders kommen. Ohne tatsächlich das Tempo zu forcieren finde ich mich wenige Stunden später auf Platz10, nach einer weiteren Runde auf Platz 9 wieder. Jetzt kommt die Phase, wo man nach jeder Runde mal vom Rad geht, sich hinsetzt, ordentlich verpflegt, um so die letzten 4 Rennstunden noch zu schaffen. Ich hatte mich gerade hingesetzt und mit etwas essen eingedeckt, da checked Christoph die Ergebnisse,
Christoph: „auf Platz 9 sind es 20 Minuten Vorsprung“
Ich: easy da kann ich jede Runde 5 Minuten die Beine hoch legen
Christoph: „auf den Vordermann…“
Ich: „interessiert mich nicht“
Christoph: „…30 Sekunden“
Ich: springe auf wie ein verrücktes Huhn, der ganze Scheiß fliegt durch die Gegend und wenige Sekunden später sitze ich auf dem Bock.
Christoph schreit mir noch die Startnummer des Konkurrenten,…pardon Mitbewerbers nach.
Ich fahre wie ein Verrückter. Es hat 20 Stunden gedauert bis ich das Rennen am Alfsee als solches angenommen habe. Ich fahre zu Sascha und dem führenden Kai Saaler auf, bitte etwas Tempoarbeit für mich zu tun und Kai klingt sich sofort für eine Deichlänge ein. Es soll meine 6 schnellste Rundenzeit werden, sogar so schnell, dass Christoph noch gar nicht am Verpflegungspunkt steht.
Doch Frust macht sich breit, zum Einen habe ich die besagte Startnummer nicht eingeholt, zum andern mich total abgeschossen. Die 5 Minuten die ich gerade schneller war bin ich nun langsamer und leide wie ein Hund. Ich bitte sogar die Damen in der Gruppe mir etwas Windschatten zu spenden. Ich bin echt durch und freue mich auf ne kurze Pause. Am Verpflegungspunkt angekommen stellt sich Christoph provokant in die Ausfahrt und streckt mir die Flasche entgegen.
Christoph: „Platz 8 hatte pausiert, du hast 20 Minuten Vorsprung, aber nur 30 Sekunden Rückstand auf Platz 7“
Pause machen ist nicht, dafür gibt´s nen Schulterklopfer.
Ich: Was ne Arschkrampe
So beginnt 2 Stunden vor Schluss noch die Jagd auf Platz 7, welchen ich dann nach 3 weiteren Runden und 390Km um 14.10 Uhr Ortszeit ins lang ersehnte Ziel rette. Frierend warte ich noch auf Teammate Sascha, er hat sich von Platz 33 noch auf Platz 22 vorgekämpft in seinem ersten 24 Stunden Rennen. Respekt mein Freund! Es gibt ne kurze Umarmung, für mehr reichst bei keinem von uns.
Kai startet eine tolle Aufholjagd und fängt Jochen noch ab. Die Top 3 sind wirklich klasse Jungs und ich freu mich für jeden.
24h Alfsee Ergebnisse 2019
- Kai Saaler
- Jochen Böhringer
- Helmut Wolf
Danke an alle, die mich durch dieses Rennen begleitet haben. Ich habe mich unglaublich über die Facebook Beiträge und Kommentare unter #24hAlfsee gefreut.
Bis zum nächsten Rennen.
Happy ride
Euer Daniel.