24h Alfsee-wie alles begann
Ein Bericht zu einem Rennen, welches noch gar nicht stattgefunden hat? Wie soll das denn gehen? Naja, mittlerweile ist es ja in der Filmszene nicht unüblich, Erfolgsgeschichten mit entsprechenden Vorgeschichten auszuschmücken. Das hat „Der Herr der Ringe“ mit „der Hobbit“ so gemacht, die „X-Men Reihe“ mit „The Wolferine“ und „Star Wars“ brachte es gleich dreimal fertig die Fans mit Vorgeschichten zu begeistern. Was die können kann ich auch und wenn es den Rennbericht zum 24h Rennen am Alfsee noch nicht gibt (welches am 11. & 12. Mai stattfindet), gibt es zumindest eine Vorgeschichte, mit welcher ich meine Blogleser etwas unterhalten möchte.
Wir schreiben das Jahr 2003…verdammt bin ich alt 🙂
Der junge und wilde Daniel ist ein Tier, wir haben März und er ist schon in der Lage, sich zwei Mal pro Woche für 1,5 Stunden auf dem Fahrrad total zu verausgaben. Wenn das Wetter gut und Daniel motiviert ist, schafft er sogar mal am Wochenende die 2 Stunden Trainingsdauer zu durchbrechen und mutiert so zum Indurain vom Südschwarzwald. Testosteronspiegel und Selbstüberschätzung liefern sich permanent steigend ein Battle um den Tagessieg, ein Radsportheld scheint geboren.
Es klingelt das Telefon (ja unfassbar, damals hat man die Dinger tatsächlich zum Telefonieren genutzt), am Hörer ein Kumpel dessen Freund hat ne Freundin, welche aufm Reisebüro arbeitet, die kennt eine, die eine kennt mit nem Schäferhund und dessen Herrchen wollte mit ins Trainingslager von einem regionalen Radsportverein, der ist nun krank und somit ist ein Bett im Doppelzimmer frei für 10 Tage Malle.
„Ich weiß nicht mehr wie es genau passierte, aber ich werde in rund 4 Wochen mit 3 wildfremden Fitfuckern-Vereinsfahrern nach Malle fliegen und dort 10 Tage Radfahren.“
Am Abflugtag lerne ich dann auch meine 3 Mitstreiter kennen und sie ihr Opfer. Wenigstens bin ich gut erholt, denn die letzten 14 Tage war ich nicht auf dem Rad, sondern mit Antibiotika und krank im Bett.
Dabei sind zwei ältere Herren, Werner und Eddy. Heute würde ich diese Menschen als zähe Trettschweine bezeichnen, gefühlt fahren die schon 40 Jahre Rad, sind jedes Frühjahr auf Malle und kennen die Routen schon auswendig. Die dritte Person und mein Zimmernachbar ist ein gewisser Sascha Ernst, er ist um die 30, im besten Radfahrer Alter. Abendkriterien, Zeitfahren und Alpenmarathons ist sein daily business. Er ist der Inbegriff des Vereins Fitfuckers und für mich in den kommenden Tagen der Inbegriff von Schweiß, Schmerz und dem „ach fick dich Sascha“.
Auf Malle angekommen wird ausgepackt, gerichtet und ab geht die Tour. Allein die heutige Trainingsdauer übersteigt meine bisherige Wochenleistung, ich werde zerstört und das gleich mehrfach. Konkurrenzfähig bin ich nur am abendlichen Buffet, der Rotwein ertränkt die Schmerzen, die Beine durchnässt vom Franzbrandwein sollen am nächsten Morgen die Lebensgeister wecken. Schon auf der zweiten Etappe lege ich einen Zwischenstopp auf einer Verkehrsinsel ein. Eddy und Sascha versuchen mir die Krämpfe aus den Beinen zu dehnen und irgendwie bekomme ich meinen Kadaver zurück ins Hotel.
Am dritten Trainingstag ist der Radkeller leer, nur ein Rad hängt noch im Ständer, es ist das vom kleinen Daniel, welcher schon fast leblos im Whirlpool des Hotels treibt und seinen ersten Ruhetag benötigt. Zwar bin ich nach dem Ruhetag dann punktuell schon fast konkurrenzfähig, aber ich sterbe hier einen schleichenden Tod. Die Ruhetage häufen sich, ich verkürze meine Touren und nach 10 Tagen Trainingslager bleibt die Erkenntnis, ich habe erst mal kein Bock mehr auf Radfahren. Durch den Job und die Gesundheit verschwindet der Sport aus meinen Gedanken, genauso wie die Leute aus dem Trainingslager.
Es ist 2018 – irgendwie gerate ich über einen Facebook Beitrag an Sascha. Mehr als 10 Jahre sind vergangen und nach ein bissel small talk wurde es Zeit für ein Wiedersehen.
Die zweite Flasche Primitivo ist geöffnet und wir beschließen, daß Sascha zu mir ins toMotion racing Team kommt und wir werden die alten Zeiten aufleben lassen. Es folgen im Jahr 2018 gemeinsame Trainingsausfahrten, Radwochenenden und Wettkämpfe. Ein Jahr vergeht, Sascha ist nicht nur Trainingspartner und Teamkollege, sondern Freund geworden. Dies gilt nicht nur für ihn, auch für seine Freundin Bella, die nicht nur ein warmherziges Verhältnis zu mir, sondern auch zu Pam und meinen Mädels pflegt.
Doch irgendwas hat sich verändert, es ist die Rollenverteilung. War ich der junge Wilde und Sascha der Fitfucker, scheint es nun völlig verdreht.
Nicht selten kam es im Training vor, dass Sascha anhält und sein Carbonrad einfach mal in den Straßengraben wirft. Es existieren mehrere Bilder wie er einfach im Wald liegt und aus Verzweiflung Schneeengel spielt.
Ich höre ihn auch deutlich mehr fluchen als mich 🙂
Mittlerweile sind wir so zusammen gewachsen, dass wir auch bereit sind dumme Dinge zu tun (hier entsteht nun die Überleitung zum 24h Rennen Alfsee).
Anfang 2019 sitzen wir entspannt bei einer Flasche Alde Gott zusammen (ich fürchte ich sollte mal ne Entziehungskur machen) und versuchen unsere Rennsaison zu planen. Ich hatte mir das kleine und unbekannte 24h Rennen am Alfsee rausgesucht. Wie zwei frühpubertierende hysterische Mädchen diskutieren Sascha und ich über die Möglichkeit einer Teilnahme. Unentschlossen kacken wir uns vor Angst, schon im Mai ein 24h Solo zu fahren in die Hose. Scheinbar sind wir so unerträglich, dass unser Frauen beschließen: „Meldet euch an und zwar jetzt“.
Nach der zweiten Flasche Alde Gott viel uns das dann deutlich leichter. Das Ausmaß unseres Tuns wurde uns aber dann erst später bewusst: so klein und unscheinbar wie dieses Rennen am Alfsee eigentlich sein sollte, ist es gar nicht. Um ehrlich zu sein ist es wohl eher das Gegenteil. Während andere 24h Rennen mit 20-40 Solostartern rechnen, sind es jetzt schon 130 am Alfsee. Unter dieser Masse an Teilnehmern hat auch die Creme de la Creme der Ultraszene ihren Start angekündigt. Mit Ingo Mangteufel, Ralf Kaltz, Jochen Böhringer, Daniel Lampertz und eventuell Kai Saaler sind es jetzt schon fast ein halbes Dutzend, die schon solche Rennen gewonnen oder zumindest auf dem Podest beendet haben. Doch dieses Event glänzt nicht nur durch Anzahl und Qualität der Teilnehmer, sondern auch durch die Streckenführung. Werden bei ähnlichen Events in Deutschland meist über 500Km unter den Topfahrern zurückgelegt, sind es hier gerne mal 100-150km weniger, da die Strecke so fordernd ist. So mutierte dieses Rennen mit zunehmenden Informationsfluss vom entspannten Saisoneinklang zum echten Saison Highlight. Der Kreis könnte sich nun auch nicht treffender schließen, denn nach 2003 versuche ich nun zum zweiten Mal, 10 Tage in einem Trainingslager Rad zu fahren, das ganze wieder mit Sascha Ernst und hoffentlich mit einem bessern Ende als damals.
Happy ride
Euer Daniel