Schneller mit Milch-ridetubeless@theroad
Im Mountainbike Bereich hat sie sich schon längst etabliert, einige scheuen zwar immer noch den vermeintlich, aufwendigen Installationsaufwand, während ein Großteil der Radfahrer jedoch von den überwiegenden Vorteilen völlig überzeugt sind.
Die Rede ist von tubeless Milch
Im Gelände liegen die Vorteile auf der Hand: die Milch ermöglich das Fahren mit niedrigen Drücken, was für eine deutlich bessere Dämpfung, somit für mehr Komfort und höheres Gripniveau sorgt. Durchschläge, die sogenannten „Snakebites“ braucht man nicht zu befürchten, da der Schlauch erst gar nicht mehr vorhanden ist. Kleine Cuts durch Dornen, Scherben oder Steine werden zudem abgedichtet.
Aber wieso sollte man nun auch am Rennrad tubeless fahren?
Niedrige Drücke möchte man dort nicht, bringt die Milch dann überhaupt Vorteile?
Wenn ja, welche?
Und warum hat sich das System nicht schön längst etabliert?
All diese Fragen möchte ich in meinem „Schneller mit Milch-ridetubeless@theroad“ Dauertest beantworten.
Eine große Herausforderung für die Hersteller
Es klingt zunächst suspekt, aber tubeless funktionsfähig am Rennrad zu fahren, ist wesentlich aufwändiger als am Mountainbike.
- Durch den Einsatz auf der Straße wurden die Reifen entsprechend dünnwandig und leicht Durch die hohen Drücke von 7-10 Bar, würde nun Dichtmilch wie ein Springbrunnen aus dem Reifen schießen. Den Reifen entsprechend massiver und schwerer auszuführen war keine Option, denn dies würde sämtliche Vorteile des tubeless Systems negieren. Die große Herausforderung besteht nun also darin, den Reifen tubelessfähig zu konzipieren ohne ihn schwerer zu machen. Eine Aufgabe die lange gebraucht hat und sich nicht jeder Hersteller annehmen wollte.
- Die zweite Problematik im Straßensport für das tubeless System sind die Aero-Carbonfelgen. Die meisten Carbonfelgen sind scharfkantig ausgeführt. Gerade die Aero-Carbonfelgen ragen oftmals weit über die Seitenwand des Reifens. Hier entstehen Mikrorisse, kleine Cuts, die im Dauereinsatz das tubeless System undicht machen.
Mittlerweile haben sich viele Reifenhersteller an das Thema gewagt, haben zumindest einen Reifen in der Produktpalette, aber warum wird das Thema immer noch stiefmütterlich behandelt und hat sich noch nicht durchgesetzt?
Zwei etablierte Systeme am Markt
Im Gegensatz zum Mountainbike gibt es im Straßenbereich mit dem (Clincher) Schlauch- und dem (geklebten) Tubularsystem zwei etablierte Reifentypen, was die Einführung eines dritten erheblich erschwert.
Tubular
Profis schwören noch immer auf geklebte Schlauchreifen den sogenannten Tubulars. Bei diesen Reifen ist der Schlauch im Reifen eingenäht und wird direkt auf die Felge geklebt. Bei den Fahreigenschaften überzeugt dieser Reifentyp durch niedrigste Rollwiderstandswerte und besserem Pannenschutz. Der recht hohe Installationsaufwand des Klebens wird dem Mechaniker überlassen. Im Defektfall steht ein Ersatzlaufrad zur Verfügung. Warum also zu tubeless fahren?
Clincher
Im Hobby und Breitensport hat sich das Fahren mit Schlauch (Clincher) längst manifestiert. Zwar gibt es hier und da des öfteren Plattfüße, dafür hat man aber immer einen Wechselschlauch dabei, um unterwegs die Panne zu beheben. Die Erkenntnis, dass man mit Dichtmilch den Defekt vielleicht gar nicht gehabt hätte fehlt und muss dieser Test auch erst noch zeigen. Bei der Sonntagsausfahrt ein Schlauch im Pannenfall zu montieren wird akzeptiert, der Gedanke dies bei einem mit Dichtmilch versifften Reifen zu tun, wirkt definitiv abschreckend. Warum also tubeless fahren?
Milch macht schnell!
Leichte Carbonrahmen, Aerofelgen mit Messerspeichen, integrierte Anbauteile bis hin zu windschnittigen Sattelstützen, Lenker-Vorbaukombinationen und Gabeln. Es ist unglaublich welcher Aufwand mittlerweile von der Bikeindustrie und dem Radsportler betrieben wird, um sich und sein Material schneller zu machen. Dabei gilt der rotierende Masse am Rad die größte Aufmerksamkeit. Hier zählt jedes ersparte Gramm doppelt und zahlt sich durch besseres Beschleunigen und mehr Speed aus. Dabei ist tubeless fahren ein vergleichsweise „günstiges“ Mittel um schneller zu werden, doch dazu später mehr.
Denn zunächst möchte ich für meine Erklärung eine kurze Geschichte erzählen:
Es ist September 2017 ein großer Star der Radsportszene fährt seine letzte Vuelta Espania, bevor er seine erfolgreiche Karriere beendet. Er hat schon mehrere Grand Tours gewonnen und er kämpft auch auf der heutigen Bergetappe um den Sieg. Die Rede ist von Alberto Contador vom Trek Segafredo Team. Kurz vor dem letzten Anstieg wechselt er sein Rad, normalerweise nicht unüblich auf ein leichteres Bergrad zu wechseln. Was jedoch unbemerkt bleibt, sind die Reifen mit denen Alberto nun zur Attacke blässt. Alberto hat sich nämlich still und heimlich den bis dato schnellsten Reifen am Markt „unter den Nagel gerissen“. Heimlich deshalb, weil der Reifen von einem bis dato zwar auch genutzten Fremdhersteller und nicht vom langjährigen Reifenlieferanten kommt, die Rede ist vom geklebten Reifen Vittoria Corsa Speed tubular.
Den Radprofis ist natürlich nicht entgangen, was mehrere Tests schon mit Messdaten belegt haben, geklebte tubular Reifen sind am Schnellsten. Der besagte Vittoria Corsa Speed eben der Schnellste.
Doch wie schnell ist schnell? Und wie groß ist der Unterschied zum Clincher Reifen mit Schlauch
Hierzu möchte ich natürlich Messwerte liefern
Nehmen wir also zunächst den Corsa Speed tubular. Dieser Reifen liefert Rollwiderstandswerte von 9.1 Watt bei 8.3 Bar. Nimmt man hier zum Vergleich ein durchschnittlichen Trainingsreifen, wie er im Breitensport üblich ist (ebenfalls vom selben Hersteller) so misst ein Vittoria Open Corsa III, 13Watt und somit +3,9 Watt mehr Rollwiderstand pro Rad.
Reifentyp | Rollwiderstand 8.3 Bar | Rollwiderstand 6.9 Bar | Rollwiderstand 5.5Bar |
Vittoria Corsa Speed tubular | 9.1 | 9.9 | 11.1 |
Vittoria Open Corsa CX III Clincher | 13 | 13.6 | 14.8 |
Mit dem Corsa Speed Open TLR kommt nun die Wachablösung
Mit dem Vittoria Corsa Speed Open TLR, bringt Vittoria nun einen Reifen, der sowohl tubeless mit Milch, als auch mit Schlauch gefahren werden kann. Dabei ist er nicht nur schneller als alle bisherigen Clincher Reifen am Markt, sondern unterbietet sogar die geklebten tubular Reifen mit seinem Rollwiderstand. Sogar den bis dato schnellsten, den Vittoria Corsa Speed tubular. Dies gelingt ihm allerdings nur bei der Verwendung mit Dichtmilch. Warum Milch also schnell macht, kläre ich im nächste Abschnitt meines Beitrags, zuvor werfen wir aber ein Blick auf die Messwerttabelle:
Reifentyp | Rollwiderstand 8.3 Bar | Rollwiderstand 6.9 Bar | Rollwiderstand 5.5Bar |
Vittoria Corsa Speed TLR Milch | 7.7 | 8.3 | 9.2 |
Vittoria Corsa Speed tubular /geklebt | 9.1 | 9.9 | 11.1 |
Vittoria Open Corsa CX III Clincher / Schlauch | 13 | 13.6 | 14.8 |
*Alle Messwerte stammen vom nicht kommerziellen Magazin: bicyclerollingresistance.com
Die Milch macht schneller, aber warum?
Warum die Milch schnell macht, erkläre ich euch nun im kommenden Abschnitt:
Besseres Abrollverhalten, niedriger Rollwiderstand
Ein Reifen muss sich beim Abrollen auf dem Untergrund permanent verformen. Dieses sogenannte Walkverhalten bestimmt den Rollwiderstand. Je besser ein Reifen sich dem Untergrund anpassen kann, desto niedriger ist der Rollwiderstand. Befindet sich im Reifen jedoch ein Schlauch, so hindert dieser Kern den Reifen daran, sich entsprechend zu verformen, zu walken. Zwischen Reifen und Schlauch entsteht zusätzlich Reibung. Dieses schlechtere Walkverhalten und die Energie, die die genannte Reibung „auffrisst“, erhöhen den Rollwiderstand. Befüllt man den Reifen jedoch mit Milch, so entfällt auch der Schlauch, der die Walkarbeit verschlechtert.
Absolute Masse
Das man schneller ist, wenn man weniger Gewicht bewegen muss, ist jedem klar. Ein durchschnittlicher Rennradschlauch wiegt ca. 100g, berechnet man hier beide Laufräder ergeben sich folgende Werte für die gesparte Masse, die zusätzlichen Vorteile zum schon geringeren Rollwiderstand bringen:
Reifentyp | Reifengewicht pro Rad | Zusatzgewicht pro Rad | Gesamtgewicht Räder |
Vittoria Corsa Speed TLR Milch | 229g | 30g Milch + 5g Ventil+ 7g Dichtband | 542g (+52g) |
Vittoria Corsa Speed tubular /geklebt | 220g | 25g Klebstoff | 490g |
Vittoria Open Corsa CX III Clincher / Schlauch | 237g | 100g Schlauch+ 15g Felgenband | 704g (+214g) |
Wir sehen also, dass gewichtstechnisch die Schlauchversion (Clincher) deutlich abfällt. Doch auch die tubeless Variante des Corsa gerät gegenüber des geklebten Corsa Speed leicht ins Hintertreffen. Bewerten wir aber die rotierende Masse, kann hier die tubeless Version wieder aufholen.
Rotierende Masse
Als rotierende Masse bezeichnet man alles am Rad was sich dreht, Laufräder, Reifen und Schläuche. Diese Masse muss permanent beschleunigt oder in Schwung gehalten werden. Da die Dichtmilch durch ihre Fließeigenschaft sich jedoch größtenteils am Grund des Reifens befindet, müssen eben diese 30g pro Rad nicht permanent beschleunigt werden. Somit zieht der tubeless Corsa Open, was die rotierende Masse betrifft, mit dem geklebten Corsa Speed wieder gleich.
Vergleichsfazit
Habe ich selbst noch zu Testbeginn die Sinnhaftigkeit von Dichtmilch am Rennrad in Frage gestellt, so kann man nach der obigen Aufarbeitung des Themas zumindest in der Theorie schon einen direkten Quervergleich ziehen.
Profisport— tubeless oder geklebte tubular Reifen
Auf dem Prüfstand liefert der Corsa Open TLR schnellere Werte als der Platzhirsch Corsa Speed tubular. Zwar besitzt er geringfügig ein Mehrgewicht, die rotierende Masse ist aber nahezu identisch. Radprofis kämpfen um Sekunden, sind also mit dem tubeless Corsa nicht nur schneller, sondern auch pannensicherer unterwegs. Ein Reifendefekt bedeutet im Rennen Zeitverlust oder gar das Rennaus. Tubeless Milch ist in der Lage, kleine Schnitte oder Stiche abzudichten, somit muss der Reifen nicht sofort gewechselt werden. Der Aufwand der Installation ist deutlich geringer als das aufwändige Kleben der Reifen, welches ein genaues Ausrichten und eine gewisse Trocknungszeit der Reifen benötigt.
Breitensport—tubeless oder Schlauch im Reifen
Auch im Breitensport wird optimiert was das Zeug hält. Lässt man mal die Reifenkosten außer Acht (denn Reifen sind Verschleißteile, egal ob mit Schlauch oder Milch gefahren), so bleibt eine Investition von ca. 40€ für eine tubeless Umrüstung. Reduktion der rotierenden Masse, geringste Rollwiderstandswerte und zusätzlicher Pannenschutz. Mir fällt nichts ein, was mit derselben Investition nur annähernd diese Vorteile bringt. Zwar ist die Erstinstallation aufwändiger, als mit Schlauch, für mich aber kein Argument, zumal man dies auch im Fachhandel erledigen kann. Einmal pro Jahr sollte man die Milch wechseln, wer viel fährt macht das mit seinen Reifen sowieso.
Die Testkandidaten
Ich selbst habe lange überlegt mit welchem Material ich diesen Test aufarbeite. Die durchweg positiven Erfahrungen mit der tubeless Funktion bei Mountainbikereifen, haben mich mal wieder zu Vittoria getrieben. Aktuell bietet Vittoria lediglich einen tubeless Rennradreifen an, ab Sommer soll es dann 3 Weitere geben.
Aus den 3 folgenden Gründen habe ich dann zum Vittoria Corsa Speed TLR gegriffen:
- Den schnellsten Reifen der Welt zu testen ist natürlich besonders reizvoll. Funktioniert tubeless mit diesem filigranen Rennreifen, so sollten massivere Trainingsreifen ebenfalls funktionieren.
- Der Vittoria Corsa Speed TLR ist ein reinrassiger Zeitfahrreifen und somit auf hohen Grip, sowie niedrigen Rollwiderstand ausgelegt. Dies erkauft er sich dann mit einer geringen Haltbarkeit. Ich will mir diese Schwäche zu Nutze machen und den Reifen bewusst bis zur Haltbarkeitsgrenze fahren, um die tatsächlichen Notlaufeigenschaften der tubeless Milch zu beurteilen.
- Vittoria konnte schon in der Vergangenheit mit besten tubeless Eigenschaften punkten, womit sie sich auch für diesen Test zunächst empfohlen haben.
Doch auch das Thema mit den scharfkantigen Carbonfelgen wollte ich nicht außer Acht lassen. Da diese auch im Breitensport stark verbreitet sind, werde ich für diesen Test meine DT Swiss R32 in die Ecke stellen und die neuen Vittoria Qurano DISC 46C Laufräder verwenden. Vittoria macht kein Geheimnis daraus, dass sie ihre Felgenprofile auf ihren Reifenwulst abstimmen, um somit beste Funktionalität zu garantieren. Ob Vittoria dieses Versprechen halten kann, wird meine Dauertest zeigen.
Alles zur Installation und den ersten Testfahrten lest ihr im zweiten Teil von „Schneller mit Milch-ridetubeless@theroad“.