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Test & Tech Talk

Mezcal-Schnapps für Bike?

Nachdem ich immer häufiger wegen den Vittoria Reifen angeschrieben werde, ist es nun an der Zeit, meine Erfahrungen mit diesen Reifen zu teilen. Als ersten Reifen werde ich den Vittoria Mezcal, benannt nach einem mexikanischen Schnaps vorstellen.

Dieser ist bei mir seit dem Frühjahr 2017 im Einsatz und hat nun doch schon etliche Kilometer bei mir gesammelt.

Einige werden sich vielleicht noch an den unter dem Label Geax geführte Mezcal erinnern, ein sehr leichter, schmaler und schwach profilierter Reifen. Der neue Mezcal stammt jedoch aus einer ganz anderen Feder und ist eine komplette Neuentwicklung, die durch den Einsatz neuer Technologien, kompromisslos auf niedrigen Rollwiderstand ausgelegt wurde, glaubt man zumindest Vittoria.
Bei der von mir verwendeten Variante, handelt es sich um Folgende:

 

 

Vittoria Mezcal

•29×2,25“
•Faltbare TNT Karkasse (tubesnotubes) mit verstärkten Seitenwänden
•Einsatzbereich: Hardpack
•Reifenbreite: 58mm/21mm MW—60mm/25mm MW(gemessen bei 2 Bar)
•Reifenhöhe: 57mm
•Gewicht: 698 / 705g (gemessen)

Die Theorie hinter dem Reifen

Mit der Profilform sinkt der Rollwiderstand…

Der Mezcal, hat wie viele andere Reifen auch, ein typische V-Profil was vor allem an der Front für Laufruhe und gutmütigem Handling sorgen soll. Bei Vittoria hat man diese klassische V-Form jedoch geteilt und die einzelne Schenkel versetzt hintereinander angeordnet. Somit muss sich nie ein „komplettes“ V-Profil abrollen bzw. in den Boden greifen, was den Rollwiderstand senken soll.
Der eigentliche Geniestreich folgt aber mit der Verbindung dieser einzelnen V-Schenkeln durch einen schmalen Mittelsteg. Somit hat der Reifen, zumindest beim geradeaus fahren eine fast durchgehende und schmale Auflagefläche, welche für enorme Laufruhe, aber signifikant sinkenden Rollwiderstand sorgen soll.
Die weiter außen liegenden Stollen bilden dann in Reihe mit den Schulterstollen die altbewährte V-Form.

Die Wunderwaffe Graphene…

Graphene ist eine zweidimensionale Kohlenstoffverbindung, welche als Werkstoff in einigen Reifenmodellen von Vittoria zum Einsatz kommt. Genannt wird dies G+ Isotech Compound. Der prognostizierte Mehrwert durch den Einsatz von Graphen beschreibt Vittoria wie folgt:

•Verringerung des Rollwiderstandes
•Erhöhter Nassgrip
•Weniger Verschleiß
•Verringerung des Reifengewichtes
•Höherer Pannenschutz

Natürlich klingt das alles sehr vielversprechend, jedoch liegt die Wahrheit auf dem Trail. Aber die Tatsache, dass Vittoria nun schon mehrfache Auszeichnungen für diese Technologie erhielt, lässt mich positiv stimmen.

4C Technologie…

Das bei einem Reifen mittlerweile mehrere Gummimischungen zum Einsatz kommen, ist nun nicht außergewöhnlich, dass Vittoria das nun aber in den einzelne Stollen tut schon und ist für mich zunächst die größte Innovation dieses Reifens. Im gesamten Reifen kommen 4 verschiedene Gummimischungen zum Einsatz.

So besitzen die Mittelstollen eine weiche Gummimischung im Kern, bedeckt von einer harten Mischung an der Oberfläche. Bei Beschleunigungs- und Bremsmanövern, kann sich nun der Stollen verformen und sorgt für die nötige Haftung und Traktion. Geht man danach wieder in eine gleichmäßige Vorwärtsbewegung, „verhärten“ sich diese Stollen wieder. In Kombination mit dem schlanken Mittelsteg und der härteren Deckschicht, sorgt dies für einen niedrigen Rollwiderstand ohne die Haftungseigenschaften negativ zu beeinflussen. Bei den Außenstollen gilt das umgekehrte Prinzip, ein harter Kern soll das Wegknicken des Stollens vermeiden und für Stabilität sorgen. Eine wesentlich weichere Deckschicht für Grip sorgen. Diese kann sogar deutlich weicher sein wie die der Mittelstollen, da der Hauptverschleiß des Reifens meist bei der mittigen Lauffläche liegt.

In der Hand

Jetzt habe ich den Reifen in der Hand und er muss beweisen was er kann. Nach dem Auspacken macht sich zunächst Ernüchterung breit. Auf der Waage zeigt dieser Reifen satte 700g an, die Erklärungen über ausgeklügeltes Design und niedrigen Rollwiderstand sind recht und gut, aber dies sind 700g rotierende Maße pro Rad!!! Mir kommen Zweifel ob dieser Reifen wirklich schnell sein soll. Bis dato hatte ich meine Reifen sogar ausgewogen, um Gewicht zu sparen. Ich hadere mit mir, ob ich diesen Reifen nun wirklich im Rennen fahren soll.

Etwas positiver stimmte mich dann die Montage des Reifens. Hier hat das „Fleisch“ wieder seinen Vorteil. Mit etwas Spüli auf der Felge (ich mach das präventiv) den Reifen montiert, aufgepumpt, Luft abgelassen und danach noch die Milch zugeführt. Der Reifen ist auf Anhieb dicht, 1-2 mal geschüttelt und er ist fahrbereit. Keine austretende Milch an der Felge, kein Schwitzen der Karkasse, kein mehrtägiges Durchschütteln. Selbst eine Standpumpe reicht, wäre es doch immer so einfach. Danach wird der Reifen mit 2 Bar befüllt und vermessen. Bei einer Felgenmaulweite von 25mm baut der Reifen an der Karkasse 60mm breit und ca. 57mm hoch. Mit diesen Abmessungen ist klar, der Mezcal ist ein „breiter“ 2.25“ Reifen, und definitiv breiter als alle vergleichbaren Reifen, die ich bisher gefahren bin. Ich selbst bevorzuge die Dämpfungs- und Walkeigenschaften eines solch voluminösen Reifens, sorgt dies doch nochmals für zusätzlichen Komfort und durch den Grip für zusätzliche Sicherheit, gerade dann, wenn die Rennen lang und man selbst unkonzentriert wird.

Bei der Montage der Laufräder treibt es mir dann ein Lächeln ins Gesicht. Die dezente „Greywall“ der TNT Karkasse ist ein wirklicher Eyecatcher, der kantige, weiße Schriftzug unterstreicht den Racelook ohne gleich aufdringlich zu wirken. Optisch definitiv eine Aufwertung an jedem Bike.

Leider verwenden die meisten Anbieter des Reifens nur das Produktfoto des schwarzen, faltbaren Mezcal. Ich wurde nun schon mehrfach angeschrieben, welcher Reifen den nun die Greywall besitzt. Die Greywall haben nur die TNT Varianten der Reifen, wenn ihr also diese kauft, bekommt ihr immer die graue Seitenwand unabhängig von den Produktfotos.

Auf dem Trail

Schon beim ersten Beschleunigen besticht der Reifen durch eine unglaubliche Laufruhe. Zugegebener Maßen beschleunigt ein 450 Gramm schwerer Thunder Burt leichter, die geringe Geräuschentwicklung ist aber nahezu identisch. Ich hadere permanent mit den 700g im Kopf, doch der Reifen fühlt sich in keinster Weise langsam an. Es ist noch früh im Jahr, ich verwende den Reifen viel im Training, hauptsächlich auf besandeten Radwegen oder Asphalt. Hier besticht der Reifen neben der geringen Geräuschkulisse vor allem durch sein Einlenkverhalten auf schnellen Abfahrten, kein abknicken über die Stollen, der Reifen gibt mir gerade bei schnellen Richtungswechseln viel Vertrauen in die Schräglage. Hier nehme ich viel Speed mit in die Kurven und vor allem wieder mit hinaus. Für mich ist es durchaus üblich, lange Grundlageneinheiten mit dem Bike zu fahren. Leider hat das schon oft dazu geführt, dass ich noch vor dem ersten Renneinsatz einen neuen Hinterreifen aufziehen musste. 6-8 Wochen regelmäßiger Einsatz auf Asphalt haben hier schon manchen Reifen das Mittelprofil gekostet, nicht so beim Mezcal. Hier sind sogar noch die Edges auf den Stollen sichtbar, den Titel „Langstreckensportler“ hat er sich also schon verdient. Diese auffällige Haltbarkeit freut natürlich nicht nur den Geldbeutel, sondern ist auch ein klares Indiz für den Grip. Gerade die XC/MA Reifen verfügen meist über eine geringe Stollenhöhe. Behält ein Reifen nun über die Einsatzdauer diese Stollenhöhe größtenteils bei, während andere 30-50% davon verlieren, hat der Reifen langfristig gesehen mehr Grip. Genau das ist beim Mezcal der Fall.

Doch ein Reifen muss natürlich mehr können als Asphalt. Mit dem Frühling kommen auch die ersten Einsätze im Wald und auf den Trails. Ich selbst fahre den Reifen mit 1.8 Bar/Vo und 2.0Bar/Hi bei ca. 82Kg Fahrergewicht. Der Reifen funktioniert so unauffällig und vermittelt genügend Traktion, Bremsgrip und Spurtreue, dass ich nach einigen Ausfahrten den Druck um nochmals 0.2 Bar erhöhe. Vielleicht ist es die Art und Weise wie der Mezcal nicht nur über die reine Gummimischung, sondern eben auch über das Verformen der Stollen, den Grip erzeugt, welche mich von nun an mit höherem Druck und somit geringerem Rollwiderstand fahren lassen. Auch bei feuchten bis teigigen Bedingungen liefert der Mezcal eine solide Leistung, so dass mich der Reifen schon vor dem ersten Renneinsatz von der Performance überzeugt hat. Dennoch hab ich Zweifel, ob der Reifen schnell ist. Ich selbst war bis dato immer empfindlich wenn es um die rotierende Masse ging. Chargenweise habe ich Reifen ausgewogen und war die Jahre zuvor auf 520g schwere Maxxis Ikon oder 550g schweren Spezialized Fast Trak unterwegs und jetzt soll ich mir einen 700g Reifen ins Rennen gehen?

Wie geschrieben, der Mezcal hat mit seinen Eigenschaften bis dato voll überzeugt. Er hatte die beste Tubelesseigentschaften, bot mit der verstärkten Seitenwand den besten Pannenschutz, hatte die höchste Laufleistung, lieferte sich auf keinem Terrain Schwächen und baute gut 2mm Breiter als die Konkurrenz, wodurch auch die besseren Dämpfungs- und Gripeigenschaften hervorgingen. Das Ganze erkaufte ich mir aber mit 700g rotierender Masse. Der letzte Anstoß den Reifen nun auch im Rennen einzusetzen lieferte nun nicht eine weitere Erfahrung mit dem Reifen, sondern ein Test von bicyclerollingresistance.com, der nun meine Wahrnehmung zum Rollwiderstand des Mezcals bestätigte. Bei der Rollwiderstandmessung auf dem Prüfstand spielt der Mezcal in einer Liga mit Race King, Racing Ralph und Co. Die bisher von mir verwendeten (leichteren) Reifen Ikon und Fast Trak lässt er aber deutlich hinter sich. Jetzt kann jeder natürlich seine eigene Meinung haben welcher Reifen schnell ist, der, der 100g weniger wiegt oder dieser, der den geringeren Rollwiderstand hat. Man kann aber auch einfach akzeptieren, dass all diese Reifen schon Weltcuprennen gewonnen haben.

Nun ist es August, ich selbst habe den Mezcal nun schon bei etlichen Rennen eingesetzt unter anderem auch bei der 12H WM in Penzberg. Es sind immer noch dieselben Reifen aus dem Frühjahr, bisher pannenfrei und die Edges sind immer noch sichtbar:-) Eine kleine Schwäche hat sich der Mezcal jedoch erlaubt. Einige Passagen waren beim Black Forest Ultrabike mit grobem Split aufgefüllt. Gerade bei schnellen Abfahrten, bei denen für den Richtungswechsel stark abgebremst werden muss schwimmt der Mezcal gerne auf. Grund dafür sind die geringen Freiräume zwischen den Stollen. Zwar bleibt der Reifen gutmütig und beherrschbar, hier fehlt mir aber das letzte Vertrauen in die Schräglage. Im Rennen verliere ich hier immer einige Meter bei solchen Richtungswechsel, ähnliches erlebe ich bei der Marathon WM in Singen, auch hier sind einige 90 Grad Kurven mit ähnlichem Terrain. Somit bleibt zu sagen, bei ausgesprochenem Loosepack zeigt der Mezcal eine kleine Schwäche. Dies ist natürlich nur mein persönliches Empfinden und spiegelt auch die eigenen Skills wider. Betrachtet man zum Beispiel das BMC Team rund um Julien Absalon, so ist der Mezcal bei jeglichen trockenen Bedingungen gesetzt. Nun bin ich kein Absalon und der Mezcal ist auch ein kategorisierter Hardpack Reifen. Glücklicherweise gibt es bei Vittoria genügend Reifenkombinationen um sich auch auf Loosepack-Bedingungen einzustellen. Zum einen gibt es den Peyote, ein ausgewiesener XC Reifen mit weicher Gummimischung. Am Hinterrad mutiert er zum Verschleißmonster, in kurzen XC Rennen oder am Vorderrad montiert (mit dem Mezcal am Hinterrad) sorgen das offen Profil und die weiche Gummimischung für das Vertrauen, welches mir beim Mezcal fehlte. Diese Kombination fuhr z.B. Titouan Carod (Platz 7) beim Weltcuprennen in der Lenzerheide. Und wenn die Strecken härter, nasser und technischer werden gibt’s mit dem Barzo noch ein wahres XC-Gripmonster.

Nach nun 8 Monaten mit dem Mezcal konnte er mich nicht nur im Training, sondern auch in den Rennen überzeugen. Meine 550g Reifen sind eingemottet und ich bin noch immer mit demselben Satz Mezcal, pannenfrei unterwegs. Tubeless-, Grip- und Komforteigenschaften sind herausragend und eine echte Alternative zu Racing Ralph, Fast Trak, Ikon und Race King. Denn all diese Reifen liegen hier und wurden genauso akribisch getestet.

Tipp
Den Mezcal gibt es natürlich noch in einer leichteren „tubeless ready“ Version. Dieser ist faltbar, ca. 40g leichter und besitzt keine verstärkte Seitenwand. Zwar reicht dieser Pannenschutz durchaus für die meisten Marathon Rennen, doch Vorsicht. Nur der Mezcal TNT besitzt die schnellere und griffigere 4C und G+ Technologie. Somit rollt die TNT Version 6-8 Watt leichter als die leichtere Faltversion! Wer also schnell sein will greift zur schwereren TNT Version und freut sich über den erhöhten Pannenschutz, der sexy Greywall und dem geringen Rollwiderstand.

Happy ride

Euer

Daniel