Viel hilft viel

Viel hilft viel, doch manchmal ist weniger mehr

 

Es ist Herbst 2016, ich grüble über die Saison 2017: was möchte ich fahren, welche sportlichen Ziele möchte ich angehen? Zu diesem Zeitpunkt bin ich es leid, auf den immer selben Rennstrecken auf die Jagd nach einer besseren Zeit zu gehen. Etwas Neues möchte ich versuchen: die Idee, mal ein 12-Stunden-Rennen zu fahren wird geboren. Mein Trainingspensum ist gefixt, die Zeit, die ich für den Sport aufbringen möchte, in Stein gemeißelt - ca. 8 Stunden pro Woche sollen es sein. Somit muss das Training optimiert, aber nicht gesteigert werden, es beginnt im Oktober 2016…

 

Oktober 2016

 

Der erste Leistungstest steht an, hier wird mein aktueller Leistungsstand erfasst. Gut 4 Wochen Pause habe ich hinter mir. 330 Watt und 10.5 % Körperfett stehen auf der Habenliste. Die Trainingswerte für die anstehenden 4 Wintermonate werden festgelegt.

 

November 2017-Januar 2017

 

Meine Trainingseinheiten fahre ich solide runter, mit dem Renner auf der Straße oder teilweise bis zu 4 Std. Einheiten auf dem Spinningrad. Die größte Aufmerksamkeit gilt aber der Umstellung der Ernährung bzw. der Instandsetzung meines Stoffwechsels. Nein, um ein 12h-Rennen zu bestehen braucht man keine austrainierte Beinmuskeln, man braucht weder ausgeprägte Klettereigenschaften noch Sprint-oder Tempohärte. Man braucht einen Stoffwechsel, der 12 Stunden lang funktioniert und den Körper mit Energie versorgt.

 

Februar 2017

 

Mein zweiter Leistungstest steht an. Die Körperfettmessung zeigt zu Testbeginn meinen angestrebten Wert von 8.5 % an (und das über Weihnachten!!!). Beim anschließenden Test erreiche ich nun 350 Watt. Dabei hat sich meine Laktatkurve deutlich verbessert, aber noch wichtiger: der Stoffwechsel um ein Vielfaches gesteigert. Alle Werte haben sich deutlich verbessert, Einheiten von mehreren Stunden ohne Verpflegung sind nun problemlos möglich. Es scheint, als hätten Andrea und ich viel richtig gemacht.

 

April 2017

 

Der Winter erschien elend lange und es wurde Zeit für das erste Rennen. Am 8. April stand die Sabine Spitz Trophy auf dem Plan und pünktlich, eine Woche vor Rennbeginn, klopfte bei mir eine Erkältung, Allergie oder Männerschnupfen an die Türe. Erst einen Tag vor Rennbeginn entschied ich mich, zu starten. Trotz mangelndem Wohlbefinden fuhr ich die beste Zeit von meinen vier Teilnahmen, holte sogar zum ersten Mal eine Top 10 Platzierung für mich und das Team. Die wirkliche Verbesserung ist aber, dass ich im Rennen nicht mehr so stark auf dem Zahnfleisch gehe. Ich habe weniger Krämpfe, regeneriere besser und kann somit auch wieder schneller mit dem Training beginnen. Die Signale, die mir mein Körper sendet, ignoriere ich. Mal ist der Rachen zu, mal wieder nicht, Schnupfen und Schluckbeschwerden wechseln sich die kommenden Wochen ab. Stupide spule ich mein Training runter, sogar mehr, als von Andrea verordnet. Viel hilft viel, wenn man sich auf eine 12h WM vorbereitet. In zwei Wochen steht das nächste Rennen auf dem Programm…

 

 

Ende April 2017

 

Die Schönbuch Trophy steht an. Meine Atemwege zeigen sich von einer besseren Seite als noch vor drei Wochen. Die Drückerstrecke sollte mir deutlich besser liegen als das letzte Rennen. Im Rennen kann ich mich voll ausbelasten, erreiche Pulswerte, die nochmals höher sind als beim Belastungstest. Ich fahre ein solides Rennen, schaffe den Sprung in die Top 20, aber irgendwas passt es nicht zusammen. Fahrer, die ich beim letzten Rennen deutlich distanzieren konnte, waren nun schneller. Die Strecke lag mir total, aber die Platzierung war schlechter. Pulswerte waren toll, aber irgendwie hat der Druck auf dem Pedal gefehlt. Es war alles nicht schlecht, aber hinterließ dann doch Fragen bei mir.

 

Mai 2017

 

Ich denke immer noch über das vergangene Rennen nach. Die Woche zuvor hatte es geschneit und stark abgekühlt. Ich habe mein Training eher kurz gehalten, war wenig motiviert und habe nur das Nötigste gemacht. Hat mir deswegen vielleicht die Körperspannung, der Punch gefehlt?

Es stehen nun zwei Wochen Urlaub an, hier möchte ich mir den letzten Schliff für die WM holen. Viel hilft viel, zudem soll noch spontan ein Rennen her.

 

Beim Waldhaus Marathon möchte ich mir das gute Körpergefühl zurückholen, welches mir verloren ging. Ich möchte das Rennen als Abschluss meines Urlaubs fahren, voll aus dem Training raus, ohne große Pause davor. Das teile ich Andrea mit, die entsprechend die Planung vornimmt.

 

Eher zufällig vereinbare ich in der ersten Urlaubswoche noch einen Leistungstest bei Andrea. Wieder sind 3 Monate vergangen – Zeit, die neuen Leistungs- und Pulswerte zu ermitteln.

 

Es sollte jedoch der beschi… Test von allen werden. Vor Beginn werden nun 7.1 % Körperfett ermittelt, danach passiert jedoch nicht mehr viel. Bei 310 Watt und einem Puls von 160 geht nix mehr. Kein Druck auf dem Pedal. Alles Scheiße… Testabbruch.

Es sind vier Wochen bis zur WM und ich bekomme die Kurbel net rum, hab weniger Dampf als im Oktober. Andrea und ich grübeln und verordnen mir eine intensive Pause. Ich nehme noch die Ausfahrt bei Trickstuff mit und danach werden meine Beine in den Ruhemodus versetzt. Gerade jetzt im Urlaub, ich hatte so viel geplant. 6H Steinen, Rennradausfahrt am Grand Ballon, Waldhaus Marathon usw. - alles für die Tonne. Stattdessen tüftle ich an einem Rettungsprogramm für gestrandete Wale ähm Daniels.

Rettungsprogramm für gestrandete Daniels

 

Tag 1

 

Ich scrolle die Nummernliste meines Handys durch. Die Nummer, die ich suche, brauche ich nicht oft. Wenn ich sie brauche, stehe ich aber immer kurz vor der Notschlachtung. Die Rede ist von Nadine, meiner Masseurin. Binnen weniger Stunden habe ich einen Termin bei ihr und die erste Aktion der totalen Regeneration nimmt ihren Lauf. Ich werde zunächst auf einer Rüttelplatte platziert, zuerst mit Waden, dann die Oberschenkel, dann kommt der Hintern. Die extremen Vibrationen sollen die Muskeln schon mal lockern und die Durchblutung stimulieren. Die erste Erkenntnis dieser Behandlung: manche Körperteile schwingen nun wesentlich intensiver und nachhaltiger als noch vor 15 Jahren. Danach geht’s auf die Massageliege und es wird nach möglichen Schmerzpunkten gesucht. Glücklicherweise ist es nur einer, der ist schnell gefunden, ragt aber von der Fußsohle bis in den Nacken. Nun durchlebe ich ein ständiges Wechselspiel zwischen der totalen Entspannung bis zur mittelalterlichen Foltermethode. Ich bin schweißgebadet, nach einer Stunde erkundigt sich Nadine nach meinem Wohlbefinden, ich total fertig, mime den Harten, lasse mir nix anmerken. Sie grinst nur schelmisch und nimmt nun sogar die zweite Hand dazu. Der Rücken steht an, Nadine findet auch hier jeden Schmerzpunkt. Meine Beine zappeln bei der Rückenmassage weiter, als bewerbe ich mich gerade um eine Mitgliedschaft bei den „Flying Steps“. Nach einer weiteren Stunde fühle ich mich, als hätte mich Tamme Hanken persönlich vergewaltigt (Gott hab ihn selig). Wie Pudding schwabbele ich runter zum Auto, voller Vorfreude auf den morgigen Muskelkater dieser intensiven Behandlung.

Die zweite Aktion des Tages soll nicht von außen, sondern von innen „heilen“. Ein Mixtur nach streng geheimem Rezept soll sämtliche Recovery Drinks in den Schatten stellen. Wer sich früher mit Wodka Redbull oder Long Island Eistee abgeschossen hat, dem sage ich, vergesst diesen Kinderpunsch - jetzt kommt was richtig Hartes. Einen Namen hat das Gebräu nicht, da ich das Rezept aber von Andrea habe, ist mein Name dafür schnell gefunden.

 

Zubereitung Sadistenbrühe

 

•0,5-1g Eiweiß/kg Körpergewicht (bei Belastungen ab 2,5 h, dann mit 1g rechnen) – z.B. Whey Eiweiß neutral von Sponser oder gemischt mit Lupinen-Eiweiß

•Saft einer halben Zitrone

•50ml Aroniasaft

•2 TL Kakaopulver

•1 TL Zimt

•1 TL Kurkumapulver, in etwas Leinöl gelöst

•1 Prise frisch gemahlenen Pfeffer

•1 Prise Chili

•Flüssiges Magnesium z.B. von Sponser

•Frischer Ingwer

•Ein paar Beeren

•Wasser je nach Bedarf auffüllen

•Alles in den Mixer und mixen, fertig

 

Zutaten gekauft, gemixt und hinter die Kinnlade gekippt. Das Zeug haut mich fast aus den Latschen. Ich denke kurz darüber nach, mich mit dem Gebräu selbstständig zu machen und kreiere folgenden Verkaufs-Slogan:

 

Tag 2

 

Beginnt mit 500 ml Sadistenbrühe zum Frühstück. Um meiner Beine etwas zu durchbluten, beschließe ich, meiner 4-jährigen Tochter das Radfahren beizubringen. Heute ohne Stützräder und Haltestange läuft‘s richtig gut. Sie trifft jede Pfütze, rauscht einmal kurz gegen ein Geländer, hat Dreckspritzer im Gesicht und möchte nun ein Mountainbike mit mindestens 8 Gängen. Den Nachmittag verbringe ich auf der Couch, ziehe mir die Bergetappe des Giro rein und lese danach das Buch von Tim Moore „Gironimo“. Die tägliche Dosis Radsport wurde konsumiert.

 

Tag 3

 

Ich mische mir nun die Sadistenbrühe mit Rote-Bete-Saft an und hebe sie somit auf ein völlig neues Level der Abscheulichkeit. Danach erfolgt ein warmes Entspannungsbad für die Muskulatur. Da der Giro heute Ruhetag hat, stöbere ich den Onlinehandel nach etwas Material durch. Wenn nicht fahren, dann wenigstens am Bike schrauben. Nach kurzer Zeit befinden sich Sram Eagle, Tune Ventile, Absolut Black Kettenblatt und weiterer Kleinkram im Warenkorb, mein Frau betet flehend zu Gott: „Nimm ihm bitte die Kreditkarte weg“.

 

Tag 4

 

Heute ist Kindergeburtstag meiner “Großen“. Es mangelt zwar an Ruhe, aber alle freuen sich für meine Tochter. Die Kinder toben, das Wetter ist schön, es gibt Geschenke, was will man mehr? Die Stimmung der Gäste und Kinder kippt gleichermaßen, als ich fast im Alleingang das Kuchenbüffet vernichte. Die Kinder sind entsetzt, ich freu mich über die gewonnene Energie und die geladenen Speicher.

 

Fazit aus 4 Tagen Regeneration

 

•Meine kleine Tochter kann Radfahren, ist stinkig auf mich, weil sie kein neues Fahrrad bekommt.

•Ich hab ne neue Schaltgruppe, meine Frau ist stinkig, weil Bankkonto leer.

•Meine große Tochter ist nun 6, ist stinkig, weil sie nix von ihrem Geburtstagskuchen hatte.

•Meine Beine fühlen sich wieder gut an, ich selbst lebe in totaler Isolation im Keller. Körperfettgehalt von 7.1 % auf 17,1 % erhöht.

 

Mittlerweile sehe ich auch das Thema Leistungsdiagnostik etwas anders. Bin ich bis dato immer davon ausgegangen, es wäre ein probates Mittel zur ständigen Leistungssteigerung, hat sie nun als Überwachungsorgan funktioniert. Ja, ich hab richtig abgekackt und der Test zeigte, Daniel du brauchst ne Pause. Zuvor war jedoch der Plan, intensiver zu trainieren und ein tolles Ergebnis in Waldhaus einzufahren. Dies hätte ohne diesen Test vermutlich in einer Katastrophe geendet. Ich hätte intensiver trainiert und wäre ohne entsprechender Regeneration und Druck auf dem Pedal in Waldhaus untergegangen. Total verunsichert wären es dann noch zwei Wochen bis zur WM gewesen. Der Plan wäre so definitiv nicht aufgegangen, ob ich in Penzberg dann gestartet wäre, ist äußerst fraglich. Im richtigen Moment, habe ich durch meinen Kacktest viel richtig gemacht. Doch auch jetzt stelle ich mir die Frage: ist es richtig, nach dieser Pause gleich wieder ein Rennen zu fahren? Die gewonnene Regeneration gleich wieder zu verblasen, statt vernünftig zu trainieren? Könnte ich ohne entsprechende Vorbereitung überhaupt ein gutes Rennen absolvieren - schließlich ging‘s mir ja nur um mein gutes Körpergefühl, weshalb ich dieses Rennen im Kalender hatte. Die kurze, intensive Strecke hat nämlich so gar nix mit einem 12-Stunden-Rennen zu tun. Somit ist der Waldhausmarathon auch kein Wegweiser für Penzberg, zwei Wochen später. Es geht nur um ein gutes Ergebnis. Letzten Endes kam ich jedoch zu dem Schluss, wenn ich jetzt nicht in der Lage wäre, in Waldhaus ein gutes Rennen zu fahren und mich auch entsprechend zu regenerieren, brauche ich auch Penzberg nicht in Betracht ziehen.

So stand ich also am 21.5.2017 bei bestem Kaiserwetter im Startblock zum 14. Waldhaus Bike Marathon. Die Strecke ist für Bolzer, 42 km und 900 hm gilt es zu absolvieren. Da hier viel Wind auf der Strecke ist, ist man gut beraten, in einer Gruppe zu bleiben. Mein letztes und bestes Ergebnis datiert aus 2014. Hier habe ich mit 1:39 h zum ersten Mal die 1:40er Marke geknackt, Platz ~75 war das Ergebnis, Siegerzeit war 1:22 h. Nun bin ich drei Jahre älter, habe mehr Ausdauer als intensive Belastungen trainiert, letzte Woche ging ich noch auf dem Zahnfleisch, heute ist es extrem windig und ich komme quasi direkt vom Kuchenbuffet in den Startblock. Ich bin mir sicher, das muss heute gut werden. Der Startschuss fiel für uns ca. 40 Sekunden nach dem Lizenzblock. Den ersten Trail überstand ich ohne Stau und bei Kilometer 15 hatte ich einen Gefährten, der mit mir das Rennen durchzog. Bei Kilometer 20 holten wir zwei Leute von vorne zurück, die wir dann bis ins Ziel schleppten. Bei Kilometer 35 füllte sich die Gruppe von hinten, so dass wir zu acht auf die letzten zwei Kilometer gingen. Mit einer finalen Attacke konnte ich mir den 2. Platz dieser Gruppe sichern, im Ziel stand dann 1:38 h auf dem Tacho. Gut, das ist jetzt keine überragende Steigerung, aber immerhin eine Verbesserung, war mein erster Gedanke. Doch halt mal, ich bin ja erst 40 Sekunden später gestartet, somit hatte ich eine Rennzeit von exakt 1:37:13 zu damals 1:39:40. Zweieinhalb Minuten auf einer solch kurzen Distanz stimmen mich äußerst versöhnlich, richtig geil wurde es dann aber beim Blick auf die Ergebnisse. Die Strecke und Siegerzeit waren fast 4 Minuten langsamer als damals, diese Tatsache spülte mich auf Platz 35 (von ca 800 Startern) in der Wertung und mit Platz 9 in die Top 10 meiner Altersklasse. Somit holte ich hier meinen zweiten Top-10-Platz für das Team, aber noch viel wichtiger, mein gutes Körpergefühl.

Nun sind es noch zwei Wochen bis zur WM, ich habe 2300 Kilometer in den Beinen und noch ein langes Trainingswochenende vor mir.

 

Bei einer Ausdauersportart hilft viel Training sicherlich viel, doch manchmal ist weniger dann doch mehr.

 

Ich werde von der WM Berichten, drückt mir die Daumen.

 

Euer Daniel

 

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