Fit zum Bike-fitting

Fit zum Bike-Fitting – Teil 1

 

Es ist ja nicht so, als würden wir Hobbysportler uns zu wenig Gedanken über unsere Leistungsoptimierung machen. Wir haben geregelte Trainingstage, planen akribisch unsere Rennsaison, achten auf die Ernährung, gönnen uns Regenerationsphasen und wenn möglich, wird in den jährlichen Familienurlaub grad noch ein Trainingslager integriert. Akribisch achten wir auf unsere Pulswerte und plakatieren unseren Leistungsfortschritt auf Strava und Co. Haben wir uns dann im körperlichen Optimierungswahn ergötzt, wird der Blick ganz schnell auf das Bike gerichtet.

 

Schließlich darf das Racebike unserem hochgezüchteten Radfahrerbody keineswegs nachstehen. Mittlerweile konnte die Bike-Industrie fast jeden überzeugen, dass ein 26“ MTB gerade noch zur Fahrt zum Bäcker reicht und man eigentlich nur schnell mit 29-Zöllern unterwegs ist. Diese müssen natürlich aus Carbon sein, nirgends bekommt man so viel Tretlagersteifigkeit mit solch geringem Gewicht. Übersetzungen 2x10, 2x11, 1x11 und jetzt gar 1x12 sorgen für die Qual der Wahl, aber wir sind mittlerweile sogar bereit, die Kettenblattgröße an die jeweilige Strecke anzupassen. Der Hauptgang dieses Dinners heißt dann rotierende Masse: leichte Naben, leichte Felgen, leichte Reifen, denn diese Masse zählt bekanntlich doppelt. Abgeschmeckt wird das Ganze dann noch durch die flexende Carbonstütze und das ideal abgestimmte Fahrwerk.

 

Ja, der Optimierungswahn kennt auch auf Hobbyniveau keine Grenzen. In der Bike-Bravo werden uns monatlich zig Verbesserungsmöglichkeiten suggeriert, die dann nach Prüfung des Kontostandes sofort umgesetzt werden.

 

Doch halt mal, haben wir dabei nicht etwas vergessen?

 

Ja, haben wir: die so oft unterschätzen SCHNITTSTELLE zwischen Mensch und Bike.

 

Wir alle wollen etwas Besonderes sein, Individualisten, aber niemand gesteht sich das beim Bikekauf wirklich ein. Wer hat sich nämlich schon intensiv damit befasst, seine individuellen Körpermaße mit seinem Bike zu vereinen? Eine Symbiose zu schaffen, damit die Schnittstellenverluste auf ein Minimum reduziert werden.

 

Wer soll sich diese Gedanken denn überhaupt machen? Der Bikeproduzent? Der Fachhändler? Der Kunde?

 

Der Bikeproduzent fällt schon mal raus:

 

Er hat die Aufgabe, drei bis vier verschiedene Rahmengrößen mit einer selbst erdachten Geometrie zu belegen. Auf diese drei bis vier Rahmengrößen müssen dann 99,9 % der interessierten Kundschaft gepresst werden. Um dabei die Mitbewerber auszustechen, muss der Schwerpunkt aber auf ein individuelles, ansprechendes Design und eine attraktive Preisgestaltung gelegt werden. Von individueller Anpassung keine Spur.

 

Deshalb kaufe ich im Fachhandel:

 

Auch dies ist wohl eher ein Trugschluss. Denn welches Ziel hat der Händler? Aus den zwei bis drei „Brands“ die er vertreibt, muss er dem geneigten Kunden das Bike anbieten, welches

 

•dem Kunden optisch gefällt

•in das Preisbudget passt

•in der jeweiligen Rahmengröße noch verfügbar ist

 

Ist ihm das gelungen, hat der Händler seinen Job gemacht und sein Geld verdient. Zugegebenermaßen ist das für die meisten Kunden ausreichend, aber was ist mit uns? Wir Hobbyrennfahrer wollen schließlich eine Leistung erbringen und wollen für diese optimal vorbereitet sein. Zwar ist der eine oder andere Händler gerne bereit, mal einen Sattel oder Vorbau an einem Neurad zu verändern, dies ist aber mehr dem Komfortwunsch des Kunden geschuldet, als dass dies einer individuellen Anpassung an die Körpermaße unterliegt.

 

Um es also auf den Punkt zu bringen: bisher hat sich keiner Gedanken gemacht. Wir alle sind Individualisten. Schrittlänge, Oberkörperlänge und Armlängen definieren unseren Körperbau und die daraus resultierende Haltung auf dem Bike. Bezieht man nun noch die individuelle Auslegung der Fahrradindustrie bezüglich ihrer Rahmengeometrien mit ein, sollte jedem klar werden, wie weit man wahrscheinlich von einer optimalen Position auf dem Bike entfernt ist.

Genau jetzt sind wir beim heutigen Thema angekommen: willkommen beim Bike-fitting.

 

Für mich wird es nach fast zwei Jahrzehnten und schon über 15 Mountainbikes Zeit für ein Bike-fitting. Ich muss allerdings vorab erwähnen, dass ich mich in den letzten drei Jahren viel mit der individuellen Anpassung meiner Bikes an meine Bedürfnisse beschäftigt habe. Ich habe viele Teile getestet, Serienbikes umgebaut oder Bikes schon grundlegend selbst entworfen, jedes Teil wurde dann selbst ausgewählt und das Bike auch selber aufgebaut.

 

Also warum das Ganze?

 

Für mich war es jetzt sehr spannend zu sehen, wie nah oder auch weit weg ich von der optimalen Sitzposition bin. Zum andern hoffte ich darauf, den einen oder andern Schmerzpunkt wie den Nacken oder meine lädierten Knie eliminieren zu können. Also ab nach Lindau zu Andrea zum pimpen!

 

Es beginnt mit einem Video

 

Zunächst wird das Bike in einer Haltevorrichtung platziert, dann heißt es für mich kurbeln. Ich voller Tatendrang, Andrea mit der Kamera zugange. Es wird alles gefilmt, um später analysieren zu können. Rückenhaltung, Fußstellung und Griffposition, alles wird begutachtet. Nach diesem Testrun widmen wir uns der Optimierung der einzelnen Bereiche.

 

Die Sitzzentrale

 

Einer der wichtigsten Punkte, wenn es um die pure Leistung auf dem Bike geht, ist die Sitzposition. Hier positioniert sich der Rumpf, welcher wiederum als Gegenhalter für die Beine dient. Sattelhöhe und -position nehmen Einfluss auf die Fußneigung sowie Streckung der Beine. Dies entscheidet darüber, wie direkt die Power in die Pedale eingeleitet wird. Trotz meiner vorherigen Optimierung gab es hier erste, erstaunliche Erkenntnisse.

 

Sattelhöhe:

 

Ist diese zu hoch, rutsch man mit dem Becken permanent hin und her, scheuert sich den Hintern wund, und eine optimale Abstützung durch das Gesäß bzw. den Rumpf ist nicht mehr möglich. Die Power verpufft. Ist der Sattel zu niedrig, bleibt das Bein beim Kurbeln gebeugt, man erzielt niemals den optimalen Kraftfluss. Die Oberschenkel neigen zum Krampfen, weil sich das Bein nie streckt, zudem wird der Fußwinkel negativ beeinflusst.

Hier hatte ich mir schon die optimale Höhe eingestellt. Viele Biker fahren ihren Sattel hingegen tendenziell eher zu niedrig als zu hoch. Mit gesenktem Sattel fühlt man sich einfach einen Tick beweglicher im Gesäßbereich, was gerade bei technischen Passagen für Wohlbefinden sorgt, aber eben bei jeder Kurbelumdrehung einen suboptimalen Kraftfluss bewirkt.

 

Viel mehr erstaunt hat mich die Sattelposition. Mit optimal justierten Pedalcleats wurde das Lotrecht vom Knie zur Pedalachse in der Viertel-vor-Drei-Stellung ermittelt. Obwohl ich schon eine Stütze ohne Seatback fahre und den Sattel recht weit vorne geklemmt hatte, musste dieser noch weiter vorrücken. Mit komplettem Ausreizen des Klemmbereichs erziele ich nun gerade noch so die optimale Position. Die einzige andere Möglichkeit wäre, eine Rahmengeometrie mit recht hohem Sitzwinkel von ca. 74 Grad zu wählen. Bei mir ist dies meiner kurzen Schrittlänge von 89 cm bei 189 cm Körpergröße geschuldet. Zeigt aber ganz deutlich, dass ich beim Fahrradkauf ganz bewusst auf die Geometriedaten des Herstellers achten muss.

 

Habt ihr das jemals gemacht / bedacht?

 

Viel erschreckender ist aber die Tatsache, dass bei meinem letzten Serienbike eine Seatbackstütze (Stütze mit Versatz nach hinten) verbaut war. Mit dem Sattel noch recht weit hinten geklemmt, war ich fast drei Jahre lang mit einer besch… eidenen Sitzposition im Wettkampf unterwegs. Um es auf den Punkt zu bringen: „ Ich war von der optimalen Sitzposition und optimalem Krafteinsatz so weit weg wie Lindau von Hinterdupfingen!

Nun bin ich aber richtig happy mit der neuen Sitzposition.

 

Diese Optimierung dauerte nach der Analyse gerade mal 5 Minuten und von einer Kurbelumdrehung zur andern bringt man plötzlich mehr Power aufs Pedal. Eine Verbesserung, die sofort wirkt, bei der man nicht eine Trainingseinheit mehr machen muss, die weder tagesformabhängig ist, noch mit steigendem Fitnessgrad zusammen hängt. Wäre doch jede Verbesserung so einfach, oder?

 

Sattelneigung

 

Doch nicht nur die Sattelhöhe und die horizontale Position haben Einfluss auf das Wohlbefinden und die Kraftübertragung, auch die Neigung des Sattels hat einen entscheidenden Einfluss. Neigt man die Sattelspitze, wird man beim Pedalieren in der Ebene immer mit dem Becken Richtung Cockpit rutschen. Um die optimale Position zu halten, muss man mit den Armen gegenhalten. Eine Ermüdung der Arm- und Schultermuskulatur ist die Folge. Das Blatt wendet sich, sobald es in die Steigung geht. Nun versucht das Becken, nach hinten zu rutschen, wird aber durch die Sattelneigung besser abgestützt, somit bringe ich mehr Power aufs Pedal. Die Arme, die nun verstärkt gegenziehen müssten, werden zudem entlastet. Somit bleibt die Sattelstellung, egal ob waagerecht oder geneigt, immer ein Kompromiss. Ich selbst versuche, meinen Sattel waagerecht zu montieren. Beim Aufsitzen sackt dann meine Gabel 15 – 20 mm in den SAG (negativ-Federweg). Somit erhalte ich eine Position mit leicht geneigter Sattelspitze.

 

Mit der Veränderung der Sitzposition ändert sich aber zwangsläufig auch die Stellung unseres Oberkörpers, der Arme und der Hände. Somit muss nun also im Nachgang das Cockpit unter die Lupe genommen werden. Alles über diese Änderungen und Zusammenhänge erzähle ich euch im 2. Teil von Fit zum Bike-Fitting.

 

Ich hoffe, ihr hattet jetzt schon Spaß beim Lesen, und habt den einen oder andern Gedankenanstoß zur Optimierung eurer Sitzposition bekommen.

Wenn ihr Unterstützung braucht, wendet euch an Andrea Potratz.

 

Wir sehen uns beim 2. Teil von Fit zum Bike-Fitting.

 

Euer Daniel

 

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