Eier

4 Wochen becomeapro, 4 Beiträge, über 1000 Besucher und eine Bewusstseinsänderung, wie ich sie selten zuvor im Bikesport durchlebt habe.

 

Eier, wir brauchen Eier

 

Als ich mich auf die Zusammenarbeit mit Andrea eingelassen habe, war mir zugegebenermaßen noch nicht ganz klar, was alles passieren wird. Leistungsdiagnostik? Ok. Trainingsoptimierung? Natürlich. , Bike-Fitting? Kann auch nur positiv werden. Aber dass gleich meine komplette Ernährung umgekrempelt wird und nun komplett gegenläufig zu meiner bisherigen Essgewohnheiten ist, hätte ich selbst nie und nimmer erwartet. Ich hatte schon viele Bewusstseinsänderung in Sachen Bikesport - mal habe ich mehr, mal weniger trainiert, mal intensiver, mal länger, mal mehr Rennrad, mal mehr Mountainbike. Ich hatte schon annähernd 20 Bikes aus Alu, Stahl und Carbon, habe Fullys probiert und bin nun wieder beim Stahlhardtail angekommen. Aber diese Veränderung ist wohl die einschneidendste, die ich je für den Bikesport gemacht habe.

 

Was ich erlebt habe und wie es mir ergangen ist, beschreibe ich euch in folgendem Beitrag.

 

Es begann mit einem Ernährungsprotokoll

 

Gut zwei Wochen lang nahm Andrea meine Essgewohnheiten unter die Lupe. In der digitalen Welt passiert dies nun nicht mehr schriftlich – nein, Whatsapp und zahlreiche Fotos meiner Mahlzeiten wurden als Kommunikationsmedium gewählt. Die Tatsache, dass mein Datenvolumen schon nach vier Tagen aufgebraucht war, war ein erstes Indiz für meine Essensumfänge. Keine Überraschung, denn dass ich eine große Affinität zum Essen habe, ist im Umkreis eigentlich jedem bekannt. So kam es häufiger vor, dass ein Azubi, der sein Berichtsheft vergessen hatte, einfach mal einen Nussgipfel oder ein Fleischkäsweckli auf meinem Schreibtisch deponierte. War ich als geschäftlich bei Suchard zu Besuch, war der Schuhkarton mit Milka-Tafeln schon bei meiner Ankunft gefüllt. Brachte ein Arbeitskollege Einstands- oder Geburtstagskuchen mit, wurde meist vergeblich versucht, ihn an meinem Büro vorbei zu schmuggeln. Denn hatte ich erst mal die Witterung aufgenommen, gab es kein Halten mehr. Die Fressmaschine war aktiviert, rette sich wer kann, wer braucht schon ein Hungergefühl zum Essen? Ich definitiv nicht, ich esse gern, viel und meist in mehreren Runden. Das Essen diente nicht als Energielieferant für den Sport, nein, der Sport sorgte dafür, dass man mich optisch noch von Rainer Kalmund unterscheiden kann. Alles, was ich bisher schrieb, sind auch lediglich die Schilderungen aus dem Büro. Zu Hause ging es ähnlich weiter: abends auf der Couch Gummibärli, Chips, Schokolade - genau in der Reihenfolge und auch täglich. Bis dato habe ich aber auch immer behauptet, ich achte auf meine Ernährung. Denn jedes Hauptgericht wurde mit Kohlenhydraten kreiert. Pasta, Reis, Kartoffeln, Vollkornbrot und Haferflocken, das gibt Dampf auf den Kolben, das macht schnell. So meine These.

 

Schon nach einer Woche war alles anders

 

Natürlich wollte ich mich beim Ernährungsprotokoll von meiner besseren Seite zeigen. Die abendlichen Fressorgien mit Chips, Schokolade und Gummibärli blieben aus. Zum Frühstück gab’s fettarmen Joghurt mit Obst, mittags einen überschaubaren Berg Reis, Nudeln oder Ähnliches und abends zumeist fettarme Wurst aufs Brot. Die Ausschweifungen mit Fleischkäsweckli und Co. wurden auch auf ein Minimum reduziert. Es ist schon erstaunlich, wie man sich zusammenreißt, wenn man unter Beobachtung steht. Ich hatte die beste Essenswoche aller Zeiten für Andrea aufs Parkett gezaubert, ich war stolz und voller Überzeugung, dass es mit der einen oder anderen kleineren Optimierung getan ist.

 

…dann kam die E-Mail von Andrea

 

Von Andrea angekündigt mit …a bissl was ändern… kam dann eine E-Mail mit einem zweiseitigen PDF.

WTF dachte ich mir. Ungelogen, ich musste mir das Ding fünfmal durchlesen, bis ich annähernd verstand, was da eigentlich drin steht. Von basischen Produkten war die Rede, von guten und schlechten Säurebildern, Fetten sowie den negativen Eigenschaften von Weizen und Gluten, wie man den Stoffwechsel animiert usw.

 

Bevor ich nun weiterschreibe, muss ich es grad noch ein sechstes Mal lesen.

Kohlenhydrate werden ins Nirwana verbannt.

 

Das für mich Krasseste an diesem Inhalt ist aber die Tatsache, dass Kohlenhydrate auf ein Minimum reduziert werden müssen. Das widersprach allen Grundsätzen, denen ich bisher erlegen war. Hatte ich doch in der Vergangenheit explizit darauf geachtet, dass mein Mahlzeiten genau auf solchen basieren. Teilweise hab ich mit Maltodextrin-Pulver den Kohlehydratanteil sogar noch zusätzlich erhöht.

 

Um es in Zahlen zu fassen: zukünftig sollte mein Kohlenhydratanteil 15-20 %, mein Proteinanteil 30-40 % und der Fettanteil 40-50 % betragen. Diese verteilen sich auf 2000 Kalorien am Tag!!!

 

 

WTF die zweite… das ist eigentlich die Kalorienzahl, die ich mir zur Primetime bei „the Big Bang Theorie“ reinpfeife. Und nun soll das die Tagesration sein??

 

Ich selbst war plötzlich komplett orientierungslos: keine Kohlenhydrate, mehr Fett, dazu noch Eiweiß, das Ganze im richtigen Verhältnis über den Tag verteilt und dann noch basisch ausgewogen?

 

Kurz gesagt: „Hä???“

 

Mit FATSECRET zurück auf den Boden der Tatsachen

Hier hatte Andrea aber den passenden Tipp für mich. Eine Handyapp namens Fatsecret. In dieser App findet man eine große Übersicht der gängigsten Lebensmittel mit zugehörigen Anbietern. Nach festgelegter Kalorienzahl muss man also nur seine gegessen Mahlzeit aus der Vorauswahl zusammenstellen, die nötige Menge angeben und schon erhält man die verbrauchte Kalorienzahl sowie den Restbedarf für den Tages. Zudem bekommt man das Verhältnis von Kohlenhydraten, Protein und Fett in einem Diagramm dargestellt. Das Ganze konnte ich dann via PDF an Andrea zur Analyse exportieren. Diese App sorgte zunächst wieder für eine Orientierung im täglichen Ernährungswahn, im Nachgang dann aber auch für eine eklatante Ernüchterung. Ich habe über eine Woche gebraucht, bis ich zum ersten Mal einen Tag geschafft habe, an dem Kalorien und Zusammenstellung in gewünschter Form vorhanden waren. Welche Opfer dafür nötig waren, werde ich später erläutern, denn zunächst sollte man noch folgende Frage beantworten: Warum?

 

Nüchtern betrachtet, habe ich keinen Stoffwechsel?

 

Meine tägliche Ernährung war geprägt von Kohlenhydraten, viele davon in Zuckerform. Der Stoffwechsel, bei dem mein Körper seine Energie aus Fett gewinnt, war bei mir sehr schwach ausgeprägt - quasi gar nicht existent.

Die Erklärung ist ganz leicht: führe ich meinem Körper permanent Zucker zu, bekommt er ununterbrochen Energie um seine Leistung zu erbringen. Zwar sind unsere Kohlenhydratspeicher begrenzt, aber wenn ich permanent nachschiebe, ist das ja schnuppe. Somit verlernt mein Stoffwechsel, richtig zu arbeiten, ohne dass ich irgendetwas davon bemerke. Kritsch wird das Ganze erst, wenn ich mehr Kohlenhydrate verbrenne, als ich zuführen kann. Irgendwann sind die Speicher leer. Genau das geschieht bei hohen, lang andauernden Belastungen. Doch auch hier hat die Lebensmittelindustrie eine Lösung parat. Energieriegel, Powerdrinks und Gels. Es ist also überspitzt gesagt problemlos möglich, über mehr als zwei Stunden eine intensive Belastung zu erbringen, ohne ein Gramm Fett zu verbrennen. Man muss theoretisch nur im 15-Minuten-Takt essen, trinken, gelen 

 

Was aber nun, wenn selbst das Zuführen dieser Energie nicht mehr ausreicht?

 

Mein erklärtes Ziel für 2017 ist die 12-h-Sole-WM in Penzberg. Trotz der Unterstützung von Gels und Riegeln wird mein Körper hier zwangsläufig ein Energiedefizit aufweisen. Was also tun, wenn ich meinem Körper gar nicht so viele Kohlenhydrate zuführen kann, wie ich verbrenne?

Richtig: ein anderer Energielieferant muss her, nämlich Fett. Mit einem guten Fettstoffwechsel ist mein Körper in der Lage, über eine längere Dauer Leistung zu erbringen, sofern gewisse Fettreserven vorhanden sind (was bei mir definitiv der Fall ist). Zudem wird dann deutlich später auf den Kohlenhydratspeicher zugegriffen, bzw. deutlich langsamer. Somit werde ich zwar nicht schneller, aber weniger schnell langsam (geiles Wortspiel, oder?).

Aber wie bekomme ich meinen Körper nun dazu?

 

Ganz einfach, ich entziehe ihm die Kohlenhydrate und den Zucker und führe ihm das richtige Fett zu. Ich zwinge ihn dazu, Fett zu verbrennen, und kurble den Stoffwechsel mit zusätzlichen Trainingseinheiten auf nüchternen Magen an. Zudem vermeide ich, permanent Energie zuzuführen. Fünf Stunden Pause zwischen den Mahlzeiten müssen dann schon sein.

 

Das Ergebnis ist sensationell

 

Wie oben beschrieben, ist diese Umstellung nicht ganz so easy zu handeln. Es ist ein schleichender Prozess, der über einen längeren Zeitraum mal gut, mal weniger gut gelingt. Doch obwohl noch in der Übergangszeit, habe ich in den ersten zehn Tagen satte 3,5 kg verloren. Von zeitweise 85 kg im Winter, knacke ich nun tagesweise die 80-kg-Marke. Dies ist ein Gewicht, welches ich zuletzt zu meiner Jugendzeit hatte. Ich erwischte mich bei dem Gedanken: „Wenn ich in zehn Tagen so viel Gewicht verliere, mache ich das doch erst zwei Wochen vor dem Rennen“. Aber leider ist der Gewichtsverlust nur ein toller Nebeneffekt. Zwei Wochen Ernährungsumstellung bedeuten noch lange nicht, dass sich der Stoffwechsel verbessert hat. Dies ist aber das Primärziel!

 

 

So bin ich heute hier, es sind vier Wochen vergangen seit meiner letzten Pasta. Reis und Kartoffeln sind genauso verbannt wie Brot oder andere Mehlprodukte. Fett wird in Form von Wurst, Käse, Fisch, Fleisch und Nüssen geliefert. Um das Säurebild dieser Lebensmittel auszugleichen, gibt’s dazu basische Produkte wie Obst, Gemüse und Salat. Das ganze dreimal täglich.

Über die Tragweite dieser Umstellung war ich mir dann doch nicht so bewusst

 

Neben der persönlichen Bereitschaft, die Ernährung umzustellen, gibt es nämlich noch zahlreiche weitere Faktoren, die es da zu meistern gilt.

 

1.Die Trainerin: Halte ich mich nicht an den Plan, sieht das Andrea an der Auswertung sofort und die Sadistin kommt zum Vorschein.

 

2.Die Ehefrau: Komme ich vom Einkauf zurück, die Tüte voll mit Lachs, frischem Salat, Gemüse, Dörrobst und Rinderfilet, gibt’s gleich einen grimmigen Blick meiner Frau zur Haushaltskasse. Ohne Frage: ein Risotto oder Spaghetti Bolognese sind deutlich günstiger als dieser Ernährungsweg. Das Zeug kostet richtig Geld!

 

3.Meine 2 Töchter: Und wehe, ich hab nix zum Naschen eingekauft…

Mein Leben wird also aktuell von vier Damen dominiert. Dem einen oder anderen wird dieser Gedanke wohl gefallen - mir wäre Kuscheln mit Pizza und Pasta an dieser Stelle aber deutlich lieber.

 

Ja, um dies durchzustehen, muss man ein stahlharter Typ sein, mit eisernem Willen, man muss einfach Eier haben, möglichst große, davon viel und zwar im Kühlschrank.

 

Denn das Ei wurde zu meinem wichtigsten Mitstreiter bei diesem Abendheuer. Egal ob zum Frühstück, als Rührei oder Spiegelei oder als Omelett. Das Omelett ist nun überall dort zu finden, wo früher die Kohlenhydrate zu finden waren. So liegt derweilen ein Eieromelette unter der Bolognese-Sauce statt der Pasta. Unter den Käsescheiben statt dem Brot oder gar mit einer zerdrückten Banane zur Waffel gebacken, als Powersnack…

 

Oh Mann, was wäre ich nur ohne meine Eier

 

Mittlerweile ist es so weit gekommen, dass ich mir ein Eieromelette brate, dies mit einem halben hartgekochten Ei garniere und mit der andern Hälfte abschmecke. Ohne Scheiß, ich hab meine Eier lieben gelernt.

 

Die Umwelt passt nicht zu meinem Ernährungsplan

 

Doch selbst der, der den Willen hat und die Kosten nicht scheut, muss sich einer weiteren Herausforderung stellen.

 

Es ist kurz vor 7 Uhr und ich betrete das Büro.

 

Der Duft des ersten gebrühten Kaffees liegt in der Luft, die Kollegen haben wohlwollend einen Christstollen angeschnitten, der ein Duett mit den Lebkuchenherzen daneben tanzt. Ein toller Start in den Tag, so arbeitet man gerne.

Ich selbst reiße mich zusammen, ich bin eisern, Christstollen und Lebkuchen landen bei mir keinen Stich. Ich bin vorbereitet auf diesen Tag, meine Eier lasse ich heute zu Hause, es muss etwas Abwechslung her. Dabei soll das Frühstück weiterhin fett- und proteinhaltig sein. Ich zücke meine Brotdose und zum Vorschein kommen geräucherter Lachs und Forelle.

 

5 Minute später...

 

Die Band hat aufgehört zu spielen, weder Christstollen noch Lebkuchen schwingen das Tanzbein. Der Geruch des Kaffees wird durch besten Alaska-Seelachs ausgestochen.

 

Weitere 5 Minuten später

 

Die Aufmerksamkeit der Kollegen bezüglich meiner neuen Essgewohnheiten hat ihren Zenit erreicht. Nun weiß jeder Arbeitskollege Bescheid, auf der Beliebtheitsskala bin ich am Tiefpunkt angekommen.

 

1 Tag später

 

Die Rache der Kollegen folgt auf dem Fuß. Hat man früher noch versucht, die Leckereien an meinem Büro vorbei zu schmuggeln, werden nun Extra-Runden um mein Büro gedreht. Sämtliche Köstlichkeiten werden mir durch die gläserne Bürotür präsentiert. Das Betriebsklima hat einen arktischen Tiefpunkt erreicht.

 

Nach und nach bestätigt sich mein Eindruck: diese Ernährung ist gesellschaftlich inkompatibel

 

Morgens mal schnell an der Tanke das Frühstück mitgenommen, zum Znüni schnell in die Kantine. Mittags irgendwo ein günstiges Mittagsmenü erhaschen und abends zwischen Training und Kinderbespaßung ein schnelles Vesper.

Nein, all das ist nicht mehr möglich. Sämtliche Mahlzeiten würden das Kohlenhydrat- und Zuckerlimit sofort sprengen.

 

Der Ironman, Besteigung des Everest, ein 24-h-Solo - glaubt ihr, das sind wirkliche Herausforderungen?

 

Nein, die neue Challenge heißt Fatsecert: 2000 Kalorien mit 15 % KH, 50 % Fett und 35 % Protein

 

Ladet euch diese App runter und versucht, nur einen Tag zu schaffen. Es ist erschreckend, wie wir den lieben langen Tag von der Lebensmittelindustrie mit Zucker zugepumpt werden. Und obwohl ich selbst die offensichtlichen Kohlenhydratquellen meide, gelingt es mir äußerst selten, diese Werte zu erreichen.

 

1.Der Teelöffel Honig in der Teekanne

2.Die 100 ml Apfelsaft im Mineralwasser

3.Milch

4.Zucker im Espresso

5.Wiener Würstchen, Kartoffelsalat und Bauernbrot

 

All diese Dinge sorgen nicht nur dafür, dass die Kalorien in die Höhe schießen, sie zerbröseln euch auch das o.g. Verhältnis, uneinholbar!!!

 

Nehmt die APP und staunt oder seid schockiert!!!!

 

Somit sei zum Abschluss noch gesagt: Solch eine Umstellung ist wirklich fordernd. Mittlerweile fordert die Ernährung gleich viel Aufmerksamkeit wie das Training. Jede Mahlzeit muss entsprechend eingekauft und vorbereitet werden.

Es sei erwähnt, dass natürlich trotz dieser „Diät“ weiterhin vier Trainingseinheiten pro Woche zu absolvieren sind. Von langen GA-Einheiten in der Kälte bis hin zum Intervalltraining, bei dem man sich entsprechend auspowert.

Entsprechend groß ist dann auch die Vorfreude nach dem Training auf ungesüßten Tee und Salat.

 

Ich möchte mich mit diesem letzten Beitrag in 2016 bei den über 1000 Lesern auf becomeapro.one bedanken.

 

Danke an die Leser, dass ich mich nochmals richtig auskotzen durfte. Ihr selbst habt nun über die Feiertage noch ne Aufgabe von mir bekommen. Zieht Euch die App und versucht, einen „perfekten Ernährungstag“ zu meistern, natürlich mit Training.

 

Ich wünsche Euch ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr, aber vor allem ein richtig schlechtes Gewissen beim Biss in das nächste Zuckerbrödli.

 

Steht dann auf und macht euch ein Ei, sofern ihr die Eier dazu habt.

 

Euer Daniel

 

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