Daniel in der Midlife Crisis

Daniel in der Midlife Crises – VTT Trace Vosgienne

 

Fünf Wochen ist es her seit meinem letzten Rennen. Nach dem Juni mit 3 Wettkämpfen wollte ich mir nun eine Pause gönnen. Die Saison bis Oktober ist noch lang und auch der Kopf brauchte mal eine Auszeit. Doch gerade als ich nach zwei Wochen wieder motiviert ins Training einsteigen wollte, schlug ein Virusinfekt zu und sorgte für eine zusätzliche Ruhewoche. Grundsätzlich kein Problem, wäre da nicht das nächste Rennen schon Ende Juli. Die Trace Vosgienne sollte meine zweite Saisonhälfte einleiten - nun blieben aber lediglich noch zwei Wochen Vorbereitung. Andrea schmiedete einen Notfallplan, um mich vor der Notschlachtung im Rennen zu bewahren. Die Anfrage an den Veranstalter, ob ich von der 70 km Strecke auf die 55 km Strecke wechseln könne, wurde konsequent ignoriert. So mussten lediglich sieben Trainingseinheit reichen, um das „härteste“ Rennen im Jahr zu meistern.

 

So kam es also, dass ich mich am 30.7.2017 gegen 6 Uhr auf den Weg in die Vogesen machte, genauer gesagt nach Xonrupt-Longemer. Die Woche zuvor musste ein intensiver Materialcheck her, denn die Erfahrung bei diesem Rennen hat mich einiges gelehrt. Die Vogesen sind, obwohl dem Schwarzwald so nah, deutlich schroffer. Hier regnet der Atlantik zuerst ab, was für einen ausgewaschenen, zerklüfteten Untergrund sorgt. Waldautobahnen sucht man hier vergebens - wieso auch, Wanderer und Biker teilen sich hier respektvoll die zahlreichen Trails. Die Südvogesen sind schon lange kein Geheimtipp mehr für viele Enduro-Piloten aus dem Schwarzwald. 2015 fuhr ich hier bei staubtrocknen Bedingungen zum ersten Mal, etliche technische Steigungen jenseits der 18 % zwangen mich zu Schiebepassagen, weil ich wohl nicht die nötige Technik oder den Grip am Hinterrad hatte. Im ersten Trail machte ich ganze zehn Plätze gut, weil hier die Fahrer schon pumpend am Trailrand standen. Mein Teamkollege hatte ganze vier Platten auf dem Kurs!

2016 mit Fully bewaffnet, konnte ich bei matschigen Bedingungen zwar alle Steigungen meistern, jedoch brachten mich diese Bedingungen an die Grenzen meiner Fahrtechnik und diesmal hatte ich einen Reifendefekt zu beklagen. Es war also klar, dieses Jahr braucht es einen Reifen, der mit sämtlichen Bedingung klar kommt, egal ob technische Steigungen, loses Geröll, Trails, das Ganze nass wie trocken. Bisher konnte mich der schnelle Vittoria Mezcal überzeugen, doch für dieses Rennen brauchte der Reifen andere Fähigkeiten, der Vittoria Barzo wurde montiert - laut Vittoria der Reifen für technisches Geläuf und matschige Bedingungen. Pauline Ferrand-Prevot wurde einst auf diesem Reifen Weltmeisterin, mich konnte der Reifen schon bei der Schönbuch Trophy im April begeistern.

Dazu kam gerade richtig die Lieferung von Radsporttechnik Müller. Er hatte meinem Laufradsatz gerade einen frischen Service inklusive Felge verpasst. Innerhalb einer Woche mit Versand, das schafft kein anderer Radhändler innerhalb der Saison. Danke Andreas an dich! So konnte ich also meinen 1340g leichten tune/Ryde XC21 Laufradsatz noch rechtzeitig mit dem Vittoria Barzo 2.25“ TNT bewaffnen. Drauf gezogen, 60 ml Milch ins Ventil mit Standpumpe aufpumpen und sofort dicht. Einen Schlauch einziehen geht definitiv nicht schneller! Ob‘s die Laufräder dann bei meinem Gewicht und der Strecke gleich zerdengelt, sollte sich noch zeigen.

 

Zurück zum Renntag:

 

6.00 Uhr war Abfahrt. Über die Autobahn ging‘s zunächst Cernay, dann weiter nach Uffholz, um dort die Auffahrt in die Vogesen über den legendären Grand Ballon und die Route de Cretes zu fahren. Auf der verwinkelten Bergstraße komme ich dank Bayrischer Motorenwerke schon richtig in Rennmodus, kurz nach der Gedenkstätte „Vieil Armond“ öffnet der Wald sein Pforte und man wird direkt in die weitläufigen Vogesen gespuckt. Der Himmel ist blau, die Sonnen bricht durch die Bäume, für mich jedes Mal ein beeindruckendes Bild. Ich halte an und mache ein Foto. Ich sehe den Verlauf der Straße, nirgends eine Menschenseele, die Weitsicht mit etlichen Bergen und Täler sorgt für den Abenteuerflair. Ich freue mich jedes Jahr auf dieses Rennen, alleine wegen der Anfahrt. Ich liebe es, hier zu sein, die Mythen des Grand Ballon, welchen ich gleich passiere, sorgen für Radsport- Stimmung. Im Jahr 2005 holte sich Jens Voigt hier das gelbe Trikot von Lance Armstrong, 1997 fiel hier der legendäre Spruch von Udo Bölts, „Jan, quäl dich, du Sau…“.

 

Nach zwei Stunden Fahrzeit biege ich zum idyllisch gelegen Lac de Longemer ab, hier wird in einer Stunden der Startschuss zur Trace Vosgienne fallen. Beim Blick auf die Startliste fehlt mein Name. Mir wird schnell klar: der Veranstalter hat mich auf die 55er Runde umgeschrieben, hat mir das aber nie bestätigt. Mein Trainingszustand wird’s mir danken. Die Trace Vosgienne ist ein kleines, idyllisches Rennen in den Vogesen, drei klassische Strecken mit 24, 55 und 70 km stehen zur Wahl. Wer meint, er kann hier beim dörflichen Flair Top Platzierungen einfahren, muss sich aber anstrengen. Ein Herr Absalon kommt schon mal aus dem Nebenort La Bresse hierher und zeigt, wo der Frosch die Locken hat. Die letzten Jahre wurde das Rennen von Steve Chainel dominiert, früherer Straßen- jetzt Cyclocross-Profi. Auf ihn sollte ich im letzten Trail treffen, dazu aber später mehr.

Es ist 9 Uhr, die 70 km Runde startet, in 15 Minuten bin ich dran. Alles drängelt in den Startblock, manche Fahrer gehen hinten raus, um sich vorne wieder rein zu schieben. Man könnte meinen, jeder Zweite hier hat Siegambitionen. Aber dem ist tatsächlich so, in jedem der kleinen 5000-Seelen-Dörfer, die sich in den Vogesen verteilen, findet man einen Radclub. Hier in Frankreich lebt man Radsport wie bei uns den Fußball. Im Startblock wimmelt es nur so von Clubfahrern, auf dem Trikot vertritt jeder stolz seinen Verein, hier wird sich gleich gebattelt, quasi eine Vogesen-Clubmeisterschaft.

Der Start erfolgt auf einer gut 50 Meter breiten Wiese. Diese haut mir sofort den Puls nach oben, hier muss natürlich schon Lenker an Lenker gefahren werden, vor mir haut es die ersten auf die Fresse. Auf einem 500 Meter langen Asphaltstück reiht sich das Feld wieder auf, um gleich vierspurig in den ersten steigenden Trail einzubiegen. Ich selbst touchiere den Lenker meines Nebenmannes, an Linienwahl ist nicht zu denken, der verzweifelte Versuch eines Fahrer vor mir, am Berg wieder anzufahren, holt weitere Fahrer von ihren Bikes. Ich komme diesmal fahrend durch. Am folgenden Asphaltstück versuche ich, Druck aufs Pedal zu geben, kann aber nicht so viele Plätze gut machen wie erhofft. Es scheint so, als hätte ich mich im Mittelfeld gefestigt, das dortige Tempo mitgehen kann ich, aber angreifen ist nicht.

 

Im nächsten technischen Anstieg mache ich ein paar Plätze gut, weil die Leute wieder vom Bike müssen, ich aber eine andere Linie fahren kann. Es folgt der erste Downhill. Auch die anderen Fahrer haben gelernt, diesmal pumpt nur einer. Ich selbst kann die Lücke zum Vordermann schließen und ihn in die kommende Steigung überholen, weil es ihm das Schaltwerk zernudelt. Es folgt ein Auf und Ab auf losem Geröll und matschigen, selektiven Trails. Die nächste Rampe steht an, ich lasse eine Lücke zum Vordermann und nehme Tempo raus, denn die Fahrer vor mir können die Wurzelpassage vor ihnen nicht meistern und zwingen auch die Nachfolger, vom Rad runter zu gehen. Selbst meinem Vordermann, bewaffnet mit Fully und Noppenkondom, driftet das Hinterrad weg. Ich selbst versuche mich zwischen den ganzen Spaziergängern durchzumogeln und komme tatsächlich über die Kuppe. In der steilen Rampe denke ich kurz drüber nach, warum ich eigentlich das original 32er Ritzel gegen ein 34er getauscht habe. Aufgrund des Sauerstoffmangels im Kopf, kommt mir die Antwort erst etwas verzögert. Jeder Mann kommt mal in ein Alter im Leben, andem ihm bewusst wird, dass er an Strahlkraft, Vitalität und Dynamik verloren hat. Schnell wird eine teure Uhr gekauft, dann wird teuer ein schnelles Auto gekauft. Die Rolex soll nun die nötige Strahlkraft zurück bringen während der Porsche die nötige Dynamik und Vitalität suggeriert. Das Ganze nennt sich dann Midlife Crises. Bei uns Radsportlern geht das deutlich einfacher. Wer sich nicht eingestehen möchte, dass ihm der jugendliche "Punsh" abhanden gekommen ist, der kauft sich einfach ein größeres Kettenblatt, Das große, funkelnd eloxierte Kettenblatt bringt nun die nötige Strahlkraft zurück, das Rumwuchten von selbigem und die entstehenden Schmerzen machen wiederum bewusst, was für stahlharte Typen wir immernoch sind. Dabei ist die Midlife Crises eines Radsportlers ungemein günstig, soll dochmal eine sagen unsere Frauen hättens nicht gut mit uns :-)... an dieser Stelle liebe Grüße an Pamela!

Die erste Abfahrt steht an, 82 kg Lebendkadaver drücken ins Tal, „us‘m weg silvuple“ schreie ich in bestem Sprachenmix, um die Fahrer der 70 km Runde zu überholen. Entsetzt blicke ich zum ersten Mal auf den Tacho. Es ist eines dieser Rennen, in denen man total abgekämpft nach einer Stunde auf den Tacho schaut und merkt, dass man gerade mal 16 km absolviert hat. Ich fahre immer wieder auf kleine Gruppen auf, mal bleiben davon welche an meinem Hinterrad, mal setzen sich die Fahrer wieder ab. Wirkliche Plätze gewinne ich nicht. Bei 20 km zähle ich gut fünf Defekte, in den technischen Downhills mache ich Zeit gut, an den ganz steilen Rampen verliere ich sie wieder. Auf einem Grat oberhalb von La Bresse ist der Wind so stark, dass wir selbst auf einem Trail Windschatten fahren. Ab Kilometer 30 beginnen dann meine Mitstreiter zu bröckeln, die Gruppen, die ich bis dato um mich hatte, distanziere ich. Eine interessante Erfahrung mache ich, als ich in einen Downhill gehe, der in meinem Rennen zuvor ein Uphill war. Heißt bildlich gesprochen, ich befinde mich auf dem Rückweg, ballere einen Weg hinunter, während mir die Nachzügler noch entgegen kommen. A gauche, a droite, I’m left, I’m right, „ach gönt ma us‘m weg gopfadammi“ gebe ich wortgewandt von mir. Es ist Kilometer 42, ich habe in der besagten Abfahrt zwei Fahrer auf Cannondale Scalpel abgehängt.

Es folgt ein Aufstieg auf losem Geröll, es ist heiß und ich bekomme meine Kurbel net mehr rum. Der ruppige Untergrund sorgt dafür, dass ich wie ein Hoppelhase auf meinem Sattel rumhüpfe. Die Scalpels kommen mit gleichmäßigem Tritt von hinten angewuchtet und erst als es wieder etwas flacher wird, kann ich die Lücke wieder schließen. Gestärkt durch ein Gel, forciere ich im Flachen das Tempo, doch die Scalpels halten sich hartnäckig, kommen an den Steigungen immer wieder ran. Schließlich gibt es nur eines, was du als Hardtailfahrer tun kannst, wenn du die Fullys in den ruppigen Steigungen nicht vom Hinterrad bekommst: du musst im Downhill angreifen. Zunächst geht’s mit viel Geschwindigkeit auf wirklich grobem Schotter bergab, die angefressene Wampe aus der Sommerpause hilft unglaublich bei der Beschleunigung bergab. Mein Arme und Hände schmerzen und der richtig technische Trail kommt noch. Mit dem Barzo lasse ich es richtig krachen, bin sogar von meinen Abfahrtskünsten so beflügelt, dass ich über einen quer liegenden Baum springe - bis ich merke, dass er eigentlich die Streckenabsperrung darstellen sollte. Also schnell runter vom Rad und zurück geschoben. Ich bin wieder auf Kurs, da kommen die Motoräder des Führenden der 70 km Strecke.

Es ist Steve Chainel, den ich in einer Serpentine vorbei ziehen lasse. Seinen Abfahrtskünsten und seinen Antritten in dem verwickelten Trail habe ich nichts entgegen zu setzte.

Der Trail spuckt mich auf der Zielanfahrt aus. Ähnlich wie beim Start hat man hier einen Zickzack-Kurs abgesteckt, der mit zwei kleinen Rampen nochmal richtig weh tut. Ein Fahrer vor mir will es hier schon ausklingen lassen, ich passiere ihn und als er meine Startnummer sieht, nimmt er nochmals Tempo auf. Ich fahre seit gut 10 km auf Attacke, auf Sprint hab ich echt keinen Bock mehr. Im verwinkelten Kurs kann ich ihn dann vom Hinterrad fahren und komme nach 2:58 h total ausgenuddelt ins Ziel, 40 Sekunden vor den Scalpels.

Nach einer kurzen Pause schleife ich mich zum Verpflegungsstand. Schinkenröllchen, Käse, Melone, Baguette, dunkle Schokolade heben die Moral. Die wild gestikulierende Frau beim Überreichen der Gemüsebrühe verstehe ich nicht. Wie ein Kind seine erste Cola schütte ich den Krafttrunk in mich hinein… das Zeug ist scheiße heiß, wollte mir die Dame dann wohl sagen. Mit einem Becher Sadisten-Brühe werde ich gleich gegenkühlen. Beim Zusammenpacken checke ich mein Material, der Barzo war heute sensationell. Sämtliche Steigungen bin ich gefahren und hab in den entscheidenden Momenten auch in den Trails Zeit gut gemacht. Auch meine Laufräder laufen trotz diesem Geprügel wie eine Eins. Es zeigt deutlich, dass eben nicht nur die Teilewahl des Laufrades entscheidend ist, sondern auch die Einspeichqualität. Mehrfaches Abdrücken beim Einspeichen, gleichmäßig hohe Speichenspannung und Sichern der Speichennippel sorgen dafür, dass auch schwerere Fahrer mit leichtem Material zu Recht kommen.

Deshalb großen Dank an Andreas von Radsport Technik Müller und Andreas von Vittoria Germany sowie Andrea von tomotion racing. Es war mal wieder unsäglich hart und wäre ohne euch noch viel härter gewesen.

Lieben Dank an meine Frau Pamela für die tolle Unterstützung, ich bin voller Vorfreude auf das kommende Wochenende mit dir in den Vogesen.

Ich schaffe es vor dem großen Platzregen wieder zurück in mein Auto, viele sind noch auf der Strecke. Auf dem Heimweg kommt die Sonne wieder raus und ich genieße die Vogesen nochmals in vollen Zügen.

Beim Blick zu Hause auf die Ergebnisse, sollte es heute zu Platz 16 Masters 1 reichen. Ein guter Wiedereinstieg, aber auch ein klarer Fingerzeig, was noch zu tun ist.

 

happy ride

 

Euer

 

Daniel

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